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MUT ZUR MITBESTIMMUNG

Warum sich mehr Frauen in die Chefetage trauen sollten



© Arya Shirazi | Mediengruppe RTL

Trotz vielseitiger Bemühungen, Frauenquoten und neuer Elternzeitmodelle sind weibliche Führungskräfte noch immer nicht die Norm. Cordelia Wagner, Pressesprecherin von IP Deutschland, der Vermarktungsgesellschaft der Mediengruppe RTL, sprach mit ZUKUNFT GEIST über den Weg in die Chefetage.



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ürden Sie sagen, dass Frauen es generell schwerer haben, eine Führungsposition zu erreichen?
Das kommt meines Erachtens sehr auf das Berufsfeld an. In eher männlich dominierten Branchen, wie Finanzen, Automobil oder auch Versicherungen, dürften es Frauen auch heute noch deutlich schwieriger haben als in der Medienbranche. Gerade das Fernsehen, aber auch die anderen Medienbereiche sind offener und Frauen haben es entsprechend leichter. Allerdings denke ich, dass es ganz wesentlich von der Person abhängt, die den Weg nach oben gehen will. Wenn ich ein Ziel habe, muss ich Gas geben und das ist vollkommen geschlechtsunabhängig.

Wie erleben Sie die Situation in Ihrem Unternehmen?
Wir haben schon recht viele Frauen in Führungspositionen, die meisten davon im Mittelbau. Das sind meist fachliche Führungskräfte, deren Team einen Job macht, den sie mindestens so gut können, im Idealfall sogar einen Hauch besser. Tendenziell bevorzugen Frauen diese fachlichen Führungsrollen gegenüber der Rolle des Geschäftsführers. Hier müsste man bereit sein, beispielsweise ein Team von Controllern zu führen, ohne dass man deren Materie im Detail kennt. Viele Frauen scheuen diese Führung qua Position – und das ist vollkommen Ordnung. Trotzdem denke ich, dass sich noch mehr Frauen etwas zutrauen sollten, auch im Hinblick auf die Geschäftsführerebene. Ich bin mir nicht sicher, inwieweit man auch die Männer da in die Pflicht nehmen sollte. Eins ist klar: Ich muss mich bemerkbar machen, wenn ich mitspielen möchte.

Welche Ursachen gibt es Ihrer Ansicht nach noch dafür, dass weniger Frauen an der Spitze sind als Männer?
Das hat ganz verschiedene Ursachen. Viele davon liegen in der Politik, die die Rahmenbedingungen schaffen müsste – Kitaplätze machen die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sehr viel einfacher – in der Bezahlung, dann aber wiederum auch im Festhalten an bekannten Strukturen. Generell kann man sagen, dass das eigene Ego, das Durchsetzungs- und Durchhaltevermögen und die Motivation, die man in ein Ziel steckt, entscheidend sind. Es gibt so typisch weibliche Tugenden, die etwas hinderlich für den Aufstieg sind: Zu viele Frauen sind harmoniebedürftig, exzessive Teamplayer und wollen es allen recht machen. Das sind prinzipiell schöne Eigenschaften, aber wenn man bestimmte Ebenen erreichen will, darf man das nicht mehr so sanftmütig angehen. Ein expliziter Wille zur Durchsetzung ist da in jedem Fall unerlässlich.

Bedarf es gewisser Charaktereigenschaften, um in die eine oder andere Führungsetage aufzusteigen?
Das denke ich schon. Ein gewisses Maß an Machtbewusstsein oder Machtstreben muss man haben. Wenn man in ein Unternehmen kommt und das Gefühl hat, es geht nicht schnell genug und man hat Ideen, die man lieber sofort umsetzen würde als erst noch politische Schleifen zu drehen, dann ist auch klar, dass man eine bestimmte Position erreichen muss, um dies tun zu können. So war es jedenfalls bei mir. Und ich denke, die zentrale Eigenschaft ist, dass ich nicht gedacht habe ‚ach schade‘, sondern mir einen Weg überlegt habe, wie ich in die entsprechende Entscheiderposition komme. Aber Hierarchie um der Hierarchie Willen kann es auch nicht sein. Jeder sollte inhaltlich das machen, was ihm entspricht.

Gibt es Regeln für Aufstieg und Erfolg?
Das Mantra ist „Tu Gutes und rede darüber“. Nur durch gute Arbeit ohne gutes Selbstmarketing kommt man kein Stück weiter. Das ist meines Erachtens auch etwas, das Frauen noch viel mehr verinnerlichen müssen. Klassischerweise sind es eher die Männer, die herausposaunen, was sie alles Tolles machen und die Frauen, die vielleicht sogar mehr oder zumindest gleich viel machen, hoffen, dass einer sieht, was sie alles leisten. Nur so rum funktioniert es leider nicht. Man muss natürlich gute Arbeit leisten, das ist klar, aber dies auch sichtbar zu machen ist wichtig. Daneben gehören noch Gestaltungswille und die Fähigkeit, Chancen zu ergreifen dazu. Wenn man im Sinne des Unternehmens denkt und Dinge entwickelt und vorschlägt, die das Unternehmen weiterbringen, oder auch Projekte aufgreift, die sonst keiner will, weil sie vielleicht arbeitsintensiv oder anspruchsvoll sind, macht man sich einen Namen und bekommt dadurch mehr Chancen. Es ist ganz wichtig aktiv zu- und anzupacken. Für den eigenen Werdegang würde ich auch noch den Perspektivwechsel nennen – und zwar in zweierlei Hinsicht: Steigt man innerhalb eines Unternehmens auf, bekommen das zwangsläufig nicht alle mit. Wenn man also zum Beispiel bisher dafür zuständig war, die Kekse für die Konferenzen zu bestellen, jetzt aber Projektleiter ist, kann es trotzdem gut sein, dass man immer noch gebeten wird, Kekse zu bestellen. Zum einen muss man sich selbst über seinen Aufstieg bewusst sein und sich entsprechend behaupten. Zum anderen hilft auch der Blick von außen. Wenn ich auf der Karriereleiter einen großen Schritt nach oben machen will, ist es ratsam, das (auch mal) in einem anderen Unternehmen zu tun. Zum einen, weil man dort direkt auf der neuen Ebene anfangen kann, und zum anderen sieht man sich dadurch auch selbst durch eine andere Brille. In der Regel leisten die meisten Menschen mehr als ihnen bewusst ist, und bei einem neuen Arbeitgeber bekommt man dann gespiegelt, dass das, was man selbst als 0815 ansieht, weit mehr ist. Das stärkt immens das Selbstbewusstsein.

Wie haben Sie diesen Weg bei sich selbst erlebt?
Ich habe tatsächlich lange nicht gewusst, wo ich genau hin wollte. Ich habe immer viel gejobbt und mein Studium auch eher als Mittel zum Zweck angesehen. Aus meinem Jahrgang war ich die einzige, die nicht gesagt hat, dass sie in die Medien will und bin, glaube ich, letztlich die einzige, die dann doch dort gelandet ist. Eher zufällig habe ich kurz vor Studienende einen Job bei VOX bekommen. Als ich fertig war, wurde eine Stelle als Referentin in der Pressestelle frei, auf die ich mich erfolgreich beworben habe. Ich hatte dort sehr viel gestalterischen Spielraum und die Möglichkeit, Sachen auszuprobieren. In der Medienbranche trifft „selbst denken“ immer auf offene Ohren. Das habe ich von Anfang an sehr geschätzt – und genutzt. Nachdem ich also beim Fernsehen gelandet war, habe ich schnell den Ehrgeiz entwickelt, nicht nur Redakteurin bzw. Referentin zu sein, sondern weiter nach oben zu kommen. Ich habe neue Wege vorgeschlagen, an der Verbesserung der Kommunikation mitgearbeitet. Ich wollte am Großen und Ganzen mitgestalten und eigenverantwortlich neue Strategien entwickeln. Daher bin ich nach einiger Zeit nach München zu ProSiebenSat1 gewechselt und habe nach etwas mehr als einem Jahr die stellvertretende Leitung der Unternehmenskommunikation übernommen. Vor 11 Jahren rief mich dann ein Headhunter mit einem sympathischen kölschen Singsang an und bot mir die Leitung der Pressestelle von IP Deutschland in Köln an.

Sie haben selbst zwei Kinder und scheinen die Vereinbarkeit von Beruf und Familie nicht als Problem wahrzunehmen. Wie managen Sie das?
Wenn man für sich entscheidet, dass es nicht ‚entweder oder’ sein muss, ist das (fast) ganz einfach. Mich ärgert immer, dass viele Frauen sich einreden lassen, sie müssten sich entscheiden. Bei Männern geht man ja auch davon aus, dass sie beides haben können. Ich habe sowohl Kinder als auch Karriere und finde, es klappt herausragend gut. Man kann doch erst mal mit seinem Wunschszenario antreten und schauen, wie weit man kommt, anstatt sich von vornherein das eine oder andere zu versagen. Wenn man einen Partner hat, der auf Augenhöhe ist, können beide beides haben! Die Medienbranche ist in dieser Hinsicht tatsächlich schon prädestiniert. Ein Lkw-Fahrer kann seine Arbeit nicht von zu Hause aus erledigen, wenn das Kind mal krank ist, ein Pressesprecher kann das durchaus. Allerdings ist hier die Emanzipation der Männer gefordert, es auch zu tun und nicht automatisch von ihrer Frau zu erwarten, dass sie einspringt. Wenn jeder Mann, dem es theoretisch möglich wäre, von zu Hause aus zu arbeiten, das auch täte, wenn das Kind krank ist, wären wir schon ein ganzes Stück weiter. Aber andererseits gehört auch dazu, dass der nächsten Mädchengeneration stärker beigebracht wird, ihre Wünsche zu formulieren. Ich hoffe sehr, dass die Generation meiner Tochter ein anderes Selbstverständnis haben wird und dass mehr Frauen den Mut haben, ihre Ziele höher zu stecken. Im Ausland sind sie schon weiter: Beispielsweise in Frankreich ist es normal für Frauen in Führungspositionen mehrere Kinder zu haben. Da ticken die Unternehmen anders, sodass Frauen genau wie Männer Ansprüche anmelden können. In der Medienbranche gibt es glücklicherweise Vorbilder, denen man nacheifern kann. Die Frauen, die in den Männerdomänen erfolgreich sind, haben so außergewöhnliche Lebensläufe, dass sie sich dafür nicht gut eignen.

Wie beschreiben Sie Ihren Arbeitsalltag?
Den klassischen Arbeitstag gibt es zum Glück nicht, Routine sind tatsächlich nur 20-30 Prozent. Ich gucke morgens was ansteht und regiere dann darauf. Einen guten Pressesprecher können Sie nachts um 3 Uhr wecken, und sie werden immer ein paar brauchbare Sätze bekommen. Wenn die Anfragen von Journalisten aber komplex sind, muss ich wissen, wen ich in der jeweiligen Fachabteilung ansprechen kann. Dieses vernetzte Denken und das sich tagtäglich auf viele verschiedene Menschen einlassen, macht mehr als die Hälfte meines Jobs aus. Wenn man einige Zeit bei einem Unternehmen ist, stößt man beim Recherchieren immer wieder auf etwas Bekanntes. Dann weiß man, dass man ein vollständiges Bild hat. Man kann sich das wie ein großes Fadenkreuz vorstellen: Wenn es eine Anfrage gibt, stülpe ich dieses Fadenkreuz nach außen und gucke, was wo andockt. Und natürlich muss man immer aufmerksam sein für neue Entwicklungen und wo man sein Wissen erweitern kann. Dafür entwickelt man über die Jahre ein Gefühl. Ein weiterer wichtiger Bereich sind neue Themen, ob Vermarktungsmodelle, Technologien oder Veränderungen im Portfolio. Zur Vorbereitung der Kommunikation nach außen bereiten wir alle Themen mitsamt den möglicherweise kritischen Fragen vor. Wer von uns oder dem Management mit der Presse spricht, ist so auf alle Eventualitäten vorbereitet und bekommt keine Schnappatmung, wenn kritische Fragen gestellt werden. Wir wissen, was für Journalisten relevant und spannend ist, aber auch was unsere Kommunikationsziele transportiert und wie man Themen vorbereiten muss, damit fair berichtet wird.

Wie würden Sie ihr Arbeitsumfeld charakterisieren? Ist die Medienbranche ein guter Anlaufpunkt für Geisteswissenschaftlerinnen und Geisteswissenschaftler?
Als Geisteswissenschaftler hat man keine klassische Berufsausbildung, bringt aber eine gute inhaltliche Bandbreite mit und kann sich auch in abgefahrene Themen reindenken. Das passt gut in die Medienbranche. Das Wichtigste ist, neugierig zu sein und gerne zu kommunizieren – häufig auch mit Menschen, die man noch nie gesehen hat, man sollte also smalltalktauglich sein, um das Eis zu brechen. Das gilt zum einen hausintern, aber auch in Bezug auf die Journalisten. Ein Journalist, mit dem ich auf einer Veranstaltung mal ein semipersönliches Gespräch geführt habe, geht hinterher ganz anders mit den Themen um. Daneben sollte man natürlich die Branche mögen. Im Prinzip funktionieren die Pressestellen großer Unternehmen ähnlich, dennoch tickt jede Branche anders. Das bringe ich am besten durch Praktika oder durch Gespräche auf Jobmessen in Erfahrung. Im Gespräch kann man schon mal seine Eignung für „Kaltakquise“ testen und man wird schnell feststellen, ob die Branche für einen passt. Jemand, der gerne in die Pressestelle eines Museums möchte, wird nach zehn Sätzen mit einem von uns feststellen, dass das nichts für ihn ist. Sehr viele unserer Redakteure, ob in den Senderredaktionen oder Pressestellen, sind Geisteswissenschaftler. Absolventen dieser Fächer bringen prinzipiell viel für den Pressesprecherjob mit, dabei spielt das Fach gar keine so große Rolle. Wenn jemand studiert hat, gehe ich davon aus, dass er sich organisieren und komplexe Dinge so präsentieren kann, dass sie jeder versteht. In der Medienbranche findet man sehr unterschiedliche Werdegänge, häufig sind es gerade die ungewöhnlichen oder besonderen Kompetenzen, die in die Medien führen. Auch unsere Personaler suchen nach Leuten, die aus der Masse herausstechen. Und da bieten die Geisteswissenschaftler viel Potenzial. Die Sorge als Geisteswissenschaftler nicht auf einen konkreten Job hin ausgebildet zu sein, sollte man positiv sehen. Wir haben bewiesen, dass wir intelligent und strukturiert sind, man kann uns beinahe jeden Inhalt geben und wir machen daraus etwas Sinnhaftes, etwas Kommunizierbares. Das können nicht viele von sich behaupten.

Text: Constanze Alpen