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Forschungsprojekte der Philosophischen Fakultät 2017/2018

Chinas Dritte Moderne

Library of Congress: Interior of the house of a rich Chinaman, Peking, China; photographer: H.C. White Co.;published: North Bennington,Vt.,.S.A.: H.C. White Co., publishers,1901

Diskurse des Zwischen-Moments und die apparativen Medien

Prof. Dr. Stefan Kramer | Chinastudien

Gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) im Rahmen des Schwerpunktprogramms „Ästhetische Eigenzeiten“

Das am Arbeitsbereich Chinastudien/Kultur Chinas betriebene Projekt untersucht Konzeptionen von Zeit in der philosophischen und künstlerisch-ästhetischen Praxis Chinas im frühen 20. Jahrhundert. Kulturelle und historische Spezifika der Wahrnehmung von Zeit, durch die der vergleichende Blick auf China angezeigt scheint, zeigen sich schon daran, dass vor der globalen Moderne der für Europa so prägende Begriff einer teilenden und strukturierenden „Zeit“ bei der ideengeschichtlichen und staatlich-institutionellen Ordnungskonstruktion des sich als eine nicht linear entwickelnde sondern ausdehnende Ewigkeit verstehenden China keinerlei Bedeutung erfahren hat. Spätestens jedoch die Neuordnung der Welt in der industriellen Moderne, deren Medienkultur sich maßgeblich an der (globalen) Strukturierung und Kommunikation von Zeit als ein durch Ereignisse durchbrochener Fluss beteiligte, bedeutete auch für China die Notwendigkeit zur Auseinandersetzung mit den Techniken, Konzeptionen und Diskursen von Zeit im Verständnis und der kolonialen Realisierung von abendländischer Ordnung. Das Projekt folgt bei seinen Untersuchungen zur Philosophie, den Medien und der Kunst in dieser politisch-kulturellen Umbruchphase Chinas nach dem Fall der letzten Kaiserdynastie der These von sich in zahlreichen wechselseitigen Einschreibungs- und Aktualisierungsprozessen ergebenden Alteritäten einer schließlich dennoch nicht allein von Europa her wirkenden sondern dynamisch-multizentrische Netzwerke von Bedeutung hervorbringenden ästhetischen Moderne.

Im Mittelpunkt der philosophiehistorischen Untersuchungen stehen zentrale Texte bedeutender republikzeitlicher Philosophen wie Zhang Dongsun, Liang Qichao, He Lin, Feng Youlan, Hu Shi, Liang Shuming, Xiong Shili und Ai Siqi. Sie werden danach befragt, inwieweit sie Zeit als Chronos oder Zwischen-Moment, so der um 1900 eingeführte chinesische Neologismus für Zeit, thematisieren und es in ihnen Ansätze für alteritäre Modernitäten gibt. Die dabei zu identifizierenden Konzeptionen von Zeit werden in eine Beziehung zu den Kunst- und Medienpraktiken jener Zeit gesetzt. Als programmatische Medien der ‚westlichen‘ Moderne stehen dabei die auch in China enorm erfolgreichen technisch-apparativen Bildmedien der Photographie und Kinematographie im Mittelpunkt der Untersuchungen. Die dabei herausgearbeiteten Zeitästhetiken werden mit den lokalen Bedingungen ihrer chinesischen Aneignung in eine Beziehung gesetzt und hinsichtlich ihrer Wechselwirkungen mit vorapparativen chinesischen Kunst- und Medienpraktiken befragt. Das Ziel des Projekts besteht in diesem Sinne in der Neubewertung der importierten modernen Zeitregime hinsichtlich ihrer theoretisch-philosophischen Rezeption und ihrer Realisierung in chinesischen Kunstpraktiken sowie in der Darstellung einer vielgestaltigen und polychronen Moderne innerhalb und jenseits national-kultureller Grenzziehungen.

Text: Stefan Kramer, Tim Trausch, Martin Müller
 

 

Bild mitte rechts: Library of Congress: Chinese woman; photographer: Thomson, J. (John); published: between 1870 and 1872 

Bild unten: Library of Congress: Two photographers taking each other‘s picture with hand-held cameras while perched on a roof; published between 1909 and 1932

Kontakt

Chinastudien
Prof. Dr. Stefan Kramer

Mitarbeiter: Dr. Martin Müller, Dr. Tim Trausch

E-Mail stefan.kramer(at)uni-koeln.de


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