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Mit Regionalwissenschaften in die Unternehmensberatung

Interdisziplinär auf ganzer Linie

Gabi Dorner setzte von Anfang an auf die interdisziplinäre Karte und entschied sich für ein Studium der Regionalwissenschaften Lateinamerika. Hier konnte sie ihre Affinität zu Sprachen und Zahlen gleichermaßen einsetzen. Heute arbeitet Sie erfolgreich in einem internationalen Umfeld, schafft locker die Balance zwischen Familie und Karriere und ist mit all dem hochzufrieden.

Mit ZUKUNFT GEIST hat sie über ihren Arbeitsalltag und die Vorteile eines geisteswissenschaftlichen Studiums gesprochen.

 

Frau Dorner, Sie haben in Köln Regionalwissenschaften Lateinamerika studiert und arbeiten heute bei pwc, einem Unternehmen, das im Bereich Wirtschaftsprüfung/Unternehmensberatung tätig ist. Ist das nicht eher ein ungewöhnlicher Beruf für eine Geisteswissenschaftlerin?

Ja und Nein. Das eine ist: Ich habe mit Regionalwissenschaften Lateinamerika einen Studiengang gewählt, der auch die Wirtschaftswissenschaften mit hinzunimmt. Damals hatten wir die Schwerpunkte Lateinamerikanische Geschichte, die Sprachen Spanisch und Portugiesisch, Politikwissenschaften und Volkswirtschaft. Ich hatte also da schon die erste Berührung mit den Wirtschaftswissenschaften. Insofern war der Weg vielleicht etwas kürzer als für jemanden, der ein rein geisteswissenschaftliches Fach wählt. Das was ich heute mache – das Entsende-Management oder die Betreuung von Mitarbeitern vom Unternehmen, die ins Ausland entsandt werden, respektive, die aus dem Ausland nach Deutschland kommen – ist ohne hin etwas, wo sich ganz viele Disziplinen kreuzen und was man so nicht studieren kann. Alle, die bei uns in diesem Feld tätig sind, haben ganz unterschiedliche Studiengänge absolviert. Da sind die klassischen BWLer, aber auch Personalwirtschaftler, Psychologen und andere Mitarbeiter, die z.B. den Schwerpunkt auf Sprachen gelegt haben. Und es ist ohnehin ein Berufsfeld, wo man sich im Job aus- und weiterbildet.

Die Interdisziplinarität Ihres Studiums war demnach ein Vorteil für Sie?

Ja. Es genau das, was ich heute auch tue. Ich spanne den kompletten Bogen von der Personalwirtschaft über personalstrategische Themen bis hin zu rein betriebswirtschaftlichen Fragestellungen wie „Hat sich eine Entsendung am Ende auch wirtschaftlich gerechnet?“. Es war sicherlich gut, von Anfang an diese doppelte Sicht zu haben und wirtschaftswissenschaftliche mit geisteswissenschaftlichen Themen und Fragestellungen zu verbinden.

Sie sind Senior Manager im Human Resource Service.  Wie kann man sich Ihren Arbeitsalltag vorstellen?

Mein Team und ich betreuen die entsandten Mitarbeiter von Unternehmen, also Deutsche im Ausland und Ausländer in Deutschland, steuerlich und sozialversicherungsrechtlich. Das heißt, wir helfen ihnen, das deutsche Steuerrecht zu verstehen. Zu meinen Aufgaben gehört die klassische Kundenakquise und anschließende Betreuung bestehender Mandate. Mein Schwerpunkt ist die Beratung von Unternehmen bei der Betreuung der gesamten Entsendepopulation. Dafür erstelle ich Entsenderichtlinien, in denen zusammenfasst wird, was die jeweiligen Mitarbeiter während ihrer Auslandsentsendung an Leistungen erhalten.

Als ein praktisches Beispiel: Das Unternehmen bezahlt die internationale Schule für die Kinder, wenn die gesamte Familie mitgeht. Ich unterstütze die Unternehmen dabei, die Entsendeprozesse aufzusetzen, damit auch jeder im Unternehmen zum richtigen Zeitpunkt weiß, was er zu tun hat, und dass die Person xy am Soundsovielten von A nach B kommt. Am Ende unterstützen wir auf Wunsch die Kostenkontrolle einer solchen Entsendung und prüfen bei weiterer Planung, ob solche Entsendungen auch zukünftig durchgeführt werden sollen, ob sie sich ganz klassisch gerechnet haben. Es ist also eine Mischung aus reiner Beratertätigkeit für den Kunden, klassischem Key Account Management und der internen Rolle Teamführung.

Foto: Gabi Dorner

Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist nicht immer leicht. Wie würden Sie die Work-Life-Balance in Ihrem Beruf beschreiben?

Für mich persönlich sehr gut. Ich habe drei kleine Jungs, jetzt 6 und zweimal 3 Jahre alt, und arbeite auf einer 75%-Stelle mit einer 30-Stunden-Woche. Ich habe die Möglichkeit, auch vom Home Office aus zu arbeiten, was bei meiner Tätigkeit wegen der Zeitverschiebung oft sehr gut ist. Weder gegenüber meinem Arbeitgeber noch meiner Kunden war es je problematisch zu sagen: „Ich bin zwischen 15:30 Uhr und 19:30 Uhr nur in dringenden Fällen erreichbar.“ Dadurch habe ich den Nachmittag so gut wie immer frei und widme mich ganz den Kindern. Bei  Ganztagsterminen springen die Tagesmutter oder mein Mann ein. Ich hatte nie das Gefühl, mich zwischen Karriere und Beruf entscheiden zu müssen. Und zu guter Letzt muss ich auch sagen, ich trenne gar nicht so sehr zwischen Work und Life. Mir macht die Arbeit wirklich Freude und sie ist Teil meines Lebens. Das gehört für mich einfach zusammen.

Haben Sie das Studium mit einem festen Berufswunsch begonnen oder hat sich Ihnen erst im Verlauf eine Berufsperspektive erschlossen?

Also, ich habe mit 18 Jahren Abitur gemacht und war etwas erschlagen von der Thematik, mich entscheiden zu müssen, was ich mein Leben lang als Beruf ausüben wollte. Ich habe das dann darauf reduziert, dass ich mich schon immer in den Sprachen und im Umgang mit Menschen sehr wohl gefühlt habe, aber auch ein gutes Zahlenverständnis hatte. Die reine Wirtschaftswissenschaft wäre mir damals viel zu trocken gewesen. An ein reines Sprachenstudium habe ich mich nicht ran getraut. Als ich dann von dem damals noch relativ neuen Studiengang  ‚Regionalwissenschaften Lateinamerika‘ gehört habe, fand ich darin die ideale Kombination von beidem. Und dann bin ich ins kalte Wasser gesprungen und habe mit dem Studium angefangen ohne den ganz konkreten Plan zu haben, was ich hinterher wirklich damit werden wollte.

Durch meine Praktika in der Internationalen Handelskammer in São Paulo in Brasilien und in Bonn bei der Botschaft von Bolivien wurde mir dann auch bestätigt, dass es Tätigkeiten gibt, die ich mit meiner Ausbildung sehr gut ausüben kann. Ich hatte dadurch stets das Gefühl, sehr breit und sehr gut aufgestellt zu sein und damit auch immer eine Zukunftsperspektive zu haben.

Was unterscheidet Ihrer Meinung nach Absolventen eines geisteswissenschaftlichen Studiums von denen anderer Studiengänge?

Ich glaube nicht, dass Geisteswissenschaftler es nötig haben, sich im direkten Vergleich mit wirtschaftswissenschaftlichen Studierenden klein zu machen. Sie bringen einfach andere Qualifikationen mit. Der BWL-Studierende bringt Steuerkenntnisse mit, hat aber vielleicht Defizite darin, Wissen in einen breiteren Kontext zu setzen. Studierende der Geisteswissenschaften dagegen besitzen gute Sprach- und Kulturkenntnisse, müssen aber eventuell im Bereich ökonomisches Denken noch dazu lernen.

Das Charakteristische eines geisteswissenschaftlichen Studiums ist das Thema ‚Ganzheitliches Denken‘. Dinge werden stets hinterfragt und in einen größeren Zusammenhang gesetzt. Ich selbst setze diese geisteswissenschaftliche Brille im Arbeitsalltag sehr häufig auf. Zum Beispiel wenn es um das Thema Kostenkontrolle geht. Dann schaue ich nicht nur, ob sich die Entsendung rein rechnerisch gelohnt hat, sondern auch, ob sich der entsandte Mitarbeiter dabei persönlich weiterentwickelt hat. Diese Kombination aus Wirtschaftswissenschaften und Geisteswissenschaften hat mich sehr gut auf meine heutigen Aufgaben vorbereitet.

Foto: Gabi Dorner

Welchen Tipp würden Sie jungen Studieninteressierten oder Studierenden bezüglich eines geisteswissenschaftlichen Studiums und der Berufswahl geben?

Das eine ist, dass man wirklich das studieren sollte, was man studieren möchte – unabhängig davon, ob man sich im ersten Semester schon die Frage stellt, was man am Ende des Studiums damit für einen Beruf erlangen müsste. Ich habe erlebt, dass Kommilitonen etwas studiert haben, nur weil sie sich damit große Berufschancen erhofften und damit am Ende dann kreuzunglücklich waren.

Man sollte den Mut haben zu tun, was man selber als Berufung empfindet, und dann wird man damit schon einen passenden Beruf finden. Weil man, wenn man etwas gerne tut, das auch immer gut macht. Und wenn man etwas gut macht, dann wird man auch darin seinen Weg finden. Praktika sind eine gute Chance, Berufsfelder kennenzulernen und sich darin auszuprobieren. Viele Germanisten sind am Ende vielleicht in der Marketingabteilung, weil sie herausragende Texte schreiben. Dafür hätte man auch Marketing studieren können. Aber das sind dann zwei Wege, die zum gleichen Ziel führen können. Man sollte sich auch selber überlegen, wo die eigenen Stärken und auch Schwächen liegen und ein eigenes Profil herausbilden.

Heutzutage fordern viele Stellenausschreibungen schon erste Berufs- oder Praxiserfahrung durch Praktika oder Studentenjobs. Haben Sie einen Insider-Tipp als Personalerin, worauf in einer Bewerbung noch geachtet wird?

Ich hatte damals mit den zwei Praktika, einem Auslandssemester und Jobben während des Studiums schon überdurchschnittliche Erfahrungen in der Arbeitswelt gemacht. Wenn ich mir heute die Bewerbungen anschaue, die ich auf den Tisch bekomme, ist das, was mich damals ausgezeichnet hat, fast schon der Standard. Wenn ich einstelle oder diese Entscheidung mit treffe, bevorzuge ich auch Bewerber, die schon die entsprechenden Praktika gemacht haben. Der Vorteil ist, dass diese Bewerber dann schon wissen, was sie erwartet und dass die Stelle das Richtige für sie ist.

Aber ich schaue auch immer auf das Gesamtbild. Ich möchte einen Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin haben, der/die in mein Team passt, eine reife Persönlichkeit ist und weiß, was er/sie tut. Wenn er/sie mir das belegen kann, ist das schon eine hervorragende Qualifikation. Dann spielt das Studienfach, das Alter oder ein Zickzack im Lebenslauf auch nur eine untergeordnete Rolle. Das reine Fachwissen bringen wir den Leuten dann bei. Ich habe mir mein Steuerwissen auch erst in den letzten mittlerweile 8 Jahren angeeignet, die ich hier bin. Fließendes Englisch ist jedoch eine notwendige Voraussetzung für einen Jobeinstieg bei uns.

Für viele Studierende stellt sich nach dem Bachelor die Frage: Master ja oder nein? Welche Empfehlung würden Sie Studierenden der Geisteswissenschaften geben?

Ich glaube, es ist eine ganz persönliche Frage, ob man sich selber mit dem Bachelor als fertig ausgebildet empfindet oder ob man sich noch weiter bilden möchte. Aber die Frage ist auch, ob man sich noch einmal auf ein Studium konzentrieren mag. Wir stellen sowohl Master als auch Bachelor ein. Es gibt zum Teil in Unternehmen – so wie bei uns – geförderte Masterprogramme, wenn man im Berufsleben merkt, man möchte oder muss, um weiter aufzusteigen, noch einen Master machen. Es ist auch die Frage, welche weiteren Abschlüsse für den Beruf wichtig sind. Bei uns ist beispielsweise oft ein Steuerberater-Examen wichtiger als ein Masterabschluss. Wenn Bachelor-Bewerber keine Spezialisierung haben, tun sie sich manchmal schwerer zu entscheiden, was sie wollen. Wer sich noch nicht sicher ist, wohin der Weg gehen soll, für den ist der Master gar nicht so schlecht.  Man sollte die Studienzeit auch etwas genießen und nutzen, um sich auszuprobieren und Lebenserfahrungen zu sammeln, sei es durch ehrenamtliches Engagement, Praktika, Auslandsstudium oder Work & Travel.

Sie haben ein Semester in Lissabon studiert. Hilft Ihnen diese Erfahrung auch heute in Ihrem jetzigen Beruf, wo Sie sich um die Belange von Entsandten kümmern, die mit einem anderen kulturellen Hintergrund alleine in ein fremdes Land kommen?

Es war spannend ganz auf sich alleine gestellt in einer fremden Stadt zu sein. Ich habe noch nie in so kurzer Zeit so viel gelernt. Durch diese Erfahrung kann ich heute sehr gut nach empfinden, welche Fragen, Sorgen und Probleme die nach Deutschland Entsandten haben. Es tut gut, sich selber auch mal fremd zu fühlen. In Gesprächen mit den Assignees oder entsprechenden Abteilungsleitern in den Unternehmen merke ich, dass es gleich eine Augenhöhe schafft. Damals den Sprung in eiskaltes Wasser gewagt zu haben, das hat mich persönlich weiter gebracht und irgendwie hat es auch bis heute meine Passion für dieses Beratungsthema aufrechterhalten. Es erfüllt mich, tagtäglich mit den unterschiedlichsten  Auslandsfällen zu tun zu haben.

Das klingt nach Zufriedenheit. Sind Sie hier mit Ihrer Position im Entsende-Management beruflich angekommen?

Ich bin auf jeden Fall angekommen. Also ich will nicht ausschließen, dass, wenn ich mal in Rente bin, ich auch noch mal eine Reisegruppe durch Bolivien begleiten würde. Das sollte man nie ausschließen. Aber was mein Berufsleben betrifft, würde ich sagen, bin ich im Entsende-Management auf jeden Fall da angekommen, wo ich mich wirklich 100%ig wiederfinde.

 


 Interview: Yvonne Kahl