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Von den Geisteswissenschaften in die IT-Branche

Begeisterung lohnt sich

Stephanie Weisberger

Stephanie Weisgerber wusste nach ihrem Abschluss an der Philosophischen Fakultät nicht, was für Möglichkeiten ihr offen stehen.
Heute arbeitet sie als Senior Quality Assurance Engineer in einem international agierenden Software-Unternehmen.

Mit ZUKUNFT GEIST hat sie über den holprigen Weg zu ihrem Traumjob gesprochen.

 

Frau Weisgerber, warum ist es Ihnen ein Anliegen, an Zukunft Geist mitzuwirken?

Ich hätte es sehr zu schätzen gewusst, wenn es so ein Magazin schon zu meiner Studienzeit gegeben hätte – quasi als Mutmacher. Als Absolventin der Philosophischen Fakultät ist es für mich eine Herzensangelegenheit, für die Geisteswissenschaften zu werben. Viele Menschen wissen einfach zu wenig über die Möglichkeiten, die sich mit entsprechenden Abschlüssen eröffnen. Da gibt es großen Gesprächsbedarf.

Sie haben an der Uni Köln Phonetik, Allgemeine Sprachwissenschaft und Pädagogik studiert. Warum haben Sie sich für diese Fächer entschieden?

Schon seit der Grundschule interessiere ich mich für Sprachen und auch für deren grammatische Strukturen. Das hat mich während meiner gesamten Schullaufbahn begleitet. In der Oberstufe habe ich schließlich ganz gezielt Deutsch und Englisch als Leistungskurse belegt. Die Richtung wurde dann immer klarer. Dennoch war mein Studium zu Beginn nicht leicht für mich. In der Schule bin ich in keiner Form auf Entsprechendes vorbereitet worden, sodass vieles wie ein Sprung ins kalte Wasser war.

Trotzdem sind sie dabei geblieben.

Ja. Vor allem in der Phonetik habe ich schnell einen Bereich gefunden, in dem ich mich sehr wohl gefühlt habe. Das anwendungsbezogene Arbeiten liegt mir einfach. Bisweilen musste ich zwar im Studium ganz schön die Zähne zusammenbeißen, aber die vielen kleinen Erfolgserlebnisse – zum Beispiel, wenn ein kleines, selbst programmiertes Skript plötzlich funktioniert – haben mich überzeugt, dabei zu bleiben.

Heute arbeiten Sie als Senior Quality Assurance Engineer in einem großen, international agierenden Software-Unternehmen. Welchen Weg sind Sie bis dorthin gegangen?

Um ehrlich zu sein: einen sehr holprigen. Nach meinem Abschluss wusste ich zunächst noch gar nicht, welche Möglichkeiten es für mich gibt. Ich habe während des Studiums nur wenige Praktika absolviert, weil ich – auch aufgrund der Bafög-Bestimmungen – so schnell wie möglich fertig werden wollte. Einblick in Arbeitsfelder für Phonetiker*innen abseits des Phonetischen Instituts, an dem ich als Studentische Hilfskraft gearbeitet habe, hat mir ein kurzes Praktikum bei einer Sprachakademie ermöglicht. Dort habe ich festgestellt, dass ich am liebsten im analytisch-phonetischen Bereich arbeiten möchte. Nach dem Studium war ich allerdings leider erst einmal ein Jahr lang arbeitslos.

vergrößern: Elektromagnetischer Artikulograph zur Messung von Zungen-, Lippen- und Kieferbewegungen
Elektromagnetischer Artikulograph zur Messung von Zungen-, Lippen- und Kieferbewegungen | Fachgebiet der Phonetik Foto: Fabian Stürtz

Konnten Sie diese Phase durch Praktika oder Weiterbildungen nutzen?

Unbezahlte Praktika konnte ich mir aus finanziellen Gründen nicht erlauben und ohne diese schien der Einstieg in klassische Arbeitsfelder als frische Absolventin kaum möglich. Um Geld zu verdienen, bin ich erst einmal freiberuflich als Dozentin an einem Bildungswerk eingestiegen. Dort habe ich für sehr heterogen zusammengesetzte und teilweise sozial recht schwierige Gruppen Bewerbungstrainings durchgeführt. Dadurch habe ich mir eine ganze Menge Durchsetzungsvermögen erworben. Verschwendete Zeit war das also mit Sicherheit nicht. Und mich selbst habe ich nebenbei natürlich auch trainiert. Als mir dann die richtige Stellenanzeige über den Weg lief, hat es gleich geklappt.

Sie sind also von Plan B zu Plan A zurückgekehrt?

Genau. Es hat sich gelohnt, dass ich das eigentliche Ziel nie aus den Augen verloren habe. Als ich die Ausschreibung las, dachte ich, das bin genau ich. Auch wenn man diesem Gefühl wahrscheinlich nicht immer Glauben schenken sollte, hat es in meinem Fall einfach zugetroffen. Im Vorstellungsgespräch habe ich dann zum ersten Mal festgestellt, dass es tatsächlich Stellen gibt, die genau zu dem passen, was ich studiert habe. Das war wie eine Offenbarung – für mich ein ganz entscheidender Schlüsselmoment.

Wie darf ich mir Ihre tägliche Arbeit als Senior Quality Assurance Engineer vorstellen?

Meine Arbeit ist die einer Test-Designerin. Ich beschäftige mich mit Sprachdialogsystemen, also mit der Kommunikation von Mensch und Maschine. Die Kund*innen meiner Firma kommen unter anderem aus der Telekommunikation, aus dem Finanzbereich oder aus dem behördlichen Sektor. Eine häufige Anforderung besteht darin, automatengesteuerte Servicezentralen zu entwickeln bzw. die entsprechende Software zu überprüfen oder auszubauen. In Abstimmung mit den jeweiligen Auftraggeber*innen wird dafür von einem Kollegen oder einer Kollegin zunächst ein Pseudo-Code verfasst, der sowohl alle technischen Anforderungen an die Software als auch den tatsächlichen Gesprächsablauf zwischen Mensch und Maschine beschreibt.

Darauf aufbauend wird dann von einem Entwickler die eigentliche Software programmiert. Mir als Test-Designerin dient der Pseudo-Code als Grundlage für die Erstellung meiner Testfälle, mit denen ich die Software schließlich überprüfe. Dazu gehören sowohl die Entwicklung einer Test-Spezifikation als auch die tatsächliche Durchführung der Tests mit anschließender Ergebnisauswertung.

Soundfile zum Sichtbarmachen akustischer Signale Foto: CTRSK | pixabay.com

Wie hat Sie Ihr Studium auf diese Arbeit vorbereitet?

Das Handwerkszeug, das ich heute nutze, habe ich tatsächlich zu einem nicht unwesentlichen Teil aus meinem Studium mitgebracht. Mit Sprachaufnahmen und deren statistischer Auswertung haben wir an der Uni ganz intensiv gearbeitet. Das ging durchaus manchmal in Richtung Programmierung und hat mich sehr gut auf das vorbereitet, was ich heute mache. Hinzu kommt, dass man als Geisteswissenschaftler*in geradezu prädestiniert ist, eine gute, differenzierte Qualitätssicherung durchzuführen. Denn ohne sich einen kritischen Blick erworben zu haben, kommt man aus der Philosophischen Fakultät nicht raus.

Können Sie auch von Schwierigkeiten berichten?

In Bezug auf meine Tätigkeit fällt mir da wenig ein. Das hängt vor allem damit zusammen, dass ich von meinem Arbeitgeber sehr gut eingearbeitet worden bin und die Chemie von Anfang an gestimmt hat. Am Ende lernt man jeden Job erst im Job. Das kann man nicht häufig genug sagen und das gilt für jedes Berufsfeld, auch fernab der Geisteswissenschaften. Vieles muss man sich einfach zutrauen – dann ist der wichtigste Schritt schon getan.

Wie sehen Sie Ihre Perspektiven?

Ich fühle mich sehr wohl in der IT-Branche und bin auch ein bisschen stolz, es als Frau, vor allem als Geisteswissenschaftlerin, hierhin geschafft zu haben. Da ich auch hin und wieder neue Kolleg*innen einarbeiten kann, werde ich auch immer mal ein wenig als Pädagogin tätig und kann damit diesem Teil meiner Laufbahn ebenfalls gerecht werden. Das ist eine wunderbare Gelegenheit, mir selbst zu vergegenwärtigen, was ich inzwischen alles gelernt und zu vermitteln habe. Trotzdem zeichnet es nun mal Geisteswissenschaftler*innen insbesondere aus, sich und alles andere regelmäßig zu hinterfragen, neue Perspektiven zu entdecken und neuen Ideen offen gegenüber zu stehen. Das sollte man sich auch im Arbeitsleben erhalten. Zurzeit bin ich inhaltlich aber ganz und gar am richtigen Ort.

Stephanie Weisgerber bei der Arbeit Foto: Björn Weisgerber

Wenn Sie heute nochmal mit dem Abi in der Tasche vor der Frage nach den richtigen Studienfächern stehen würden: Würden Sie alles wieder genauso machen?

Aus meiner heutigen Perspektive ist alles genau so gelaufen, wie es hätte laufen müssen. Als gebürtige Norddeutsche habe ich aus meinem Studium in Köln auch das Motto „Et hätt noch emmer joot jejange“ mitgenommen. Egal wie schlimm es kam, gerade auch während der bitteren Phase der Arbeitslosigkeit: Etwas Positives habe ich aus allen Erfahrungen ziehen können. Sicherlich wäre das ein oder andere zusätzliche Praktikum hilfreich gewesen, aber es ist auch nicht falsch, sich auf sein Studium zu konzentrieren. Während eines Studiums der Geisteswissenschaften entwickelt man ohnehin einen sehr weiten Horizont und einen breit gefächerten Blick. Dessen positive Wirkung im Hinblick auf spätere Arbeitsmöglichkeiten sollte man nicht unterschätzen.

Wichtig war außerdem, dass meine Familie mich immer unterstützt hat, obwohl meine Eltern sich als Nichtakademiker eigentlich kaum vorstellen konnten, was ich mit meinem Studium machen kann. Heute kann ich sagen: Es lohnt sich. Man muss einfach dranbleiben und sein Ziel nicht aus den Augen verlieren.

Was möchten Sie heutigen Studienanfänger*innen mit auf den Weg geben?

Zu erkennen, was einem liegt, ist eine wundervolle Entdeckung, aus der man viel Energie ziehen kann. Das sollte man nutzen. Wenn man etwas wirklich aus Überzeugung und mit Begeisterung macht, dann liefert man auch die gewünschten Resultate. Das merken auch die Arbeitgeber*innen.

 


 Interview: Silke Feuchtinger