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Als Historiker im Museum

Geschichte lebendig werden lassen

Dr. Robert Fuchs

Als Berufseinsteiger hatte es Dr. Robert Fuchs zunächst nicht leicht. Doch Durchhalten und Dranbleiben haben sich bezahlt gemacht. Sein Werdegang zeigt, wie vielseitig Historiker arbeiten können und wie spannend es sein kann, Geschichte für die Gesellschaft erlebbar zu machen.

Mit ZUKUNFT GEIST hat er über seinen Werdegang und seine Arbeit im Museum gesprochen.

 

Herr Fuchs, Sie arbeiten im Dokumentationszentrum und Museum über die Migration in Deutschland – kurz DOMiD. Wie können wir uns einen Arbeitstag bei Ihnen vorstellen?

DOMiD ist ein von Migranten und Migrantinnen gegründeter Verein mit begrenzten personellen und finanziellen Ressourcen. Das heißt, dass meine Aufgaben ein breites Spektrum umfassen. Das beginnt mit allgemeinen Tätigkeiten der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit wie zum Beispiel die Betreuung unserer Homepage und aller Social Media Kanäle sowie die Herstellung und Pflege von Pressekontakten.

Zusätzlich bin ich in die Strategieentwicklung des Vereins bzw. der Geschäftsstelle eingebunden, führe durch die Räumlichkeiten, halte Vorträge bei Tagungen und konzipiere und betreue Ausstellungen – zuletzt im Bundeskanzleramt. Hauptsächlich koordiniere ich aber die notwendigen Schritte, um unser Ziel – den Aufbau eines Migrationsmuseums – zu verwirklichen. Das umfasst unter anderem die Produktion von entsprechendem Info-Material sowie ausgeprägte Netzwerktätigkeiten mit Politik, Verwaltung, Stiftungen und der freien Wirtschaft. Ich verfasse Texte oder Aufsätze bei Anfragen, stelle Anträge und plane die Strategie für die Realisierung des Museums.

Können Sie uns Ihre Funktion bei der Planung des Museums noch näher beschreiben?

DOMiD hat als erste Institution mit der Sammlung und Dokumentation der Migrationsgeschichte Deutschlands begonnen und verfügt über eine einzigartige Sammlung alltagsgeschichtlicher Zeugnisse zur Einwanderungsgeschichte. Wir haben mittlerweile über 100.000 Objekte, Dokumente, Fotos und Interviews. Gleichzeitig verfügen wir über ein starkes Know-how, was Ausstellungen zu dem Thema angeht. Wir haben unter anderem die erste Ausstellung zur Migration in Deutschland überhaupt gemacht. Das Ziel, ein Museum zu errichten, besteht schon seit 25 Jahren.  Ein wichtiger Schritt in diese Richtung bildete unser virtuelles Migrationsmuseum.

Als ich im Jahr 2013 hier anfing, war ich im Rahmen einer Machbarkeitsstudie verantwortlich für die Konzeption dieses virtuellen Museums. Zuerst in den virtuellen Raum zu gehen, bot verschiedene Vorteile: Ein virtuelles Museum ist jederzeit von überall erreichbar und kostet im Aufbau und in der Nachhaltigkeit wesentlich weniger als ein reales Gebäude mit realen Personen. Ziel war es, die Bevölkerung zu sensibilisieren, Aufmerksamkeit zu generieren und unsere Botschaft nach außen zu tragen. Wir ließen einen Trailer produzieren und bauten eine Blogstruktur auf. Das war dann derartig erfolgreich, dass von verschiedenen Seiten auf uns eingewirkt wurde, jetzt sei die Zeit, ein reales Museum auf den Weg zu bringen. Die Entscheidung dafür fiel Anfang letzten Jahres.

Wir konnten Rita Süssmuth als Schirmherrin gewinnen und schafften es, die Gelder für eine Machbarkeitsstudie zu generieren. Diese koordiniere ich nun. Wir setzen den inhaltlichen und fachlichen Rahmen, indem wir klar definieren, was dieses Haus beinhalten soll, was die Kernbotschaften sind und wie wir uns das vorstellen. Ein externes Unternehmen klärt dann Punkte wie die Kostenkalkulation, den Standort und juristische Fragen wie zum Beispiel, ob das Museum dann eine Stiftung, eine gemeinnützige GmbH oder AG werden soll.

Blick in eine Werkhalle aus dem Trailer zum Virtuellen Migrationsmuseum Foto: DOMiD-Archiv, Köln

Was macht Ihnen an Ihrer Arbeit am meisten Freude?

Mein Werdegang zeigt, wie wichtig es für mich ist, in der Vermittlung zu arbeiten und mit meiner Tätigkeit Impulse in die Gesellschaft zu setzen. Deshalb habe ich mich dazu entschieden, weniger stark in der Wissenschaft zu arbeiten, sondern tatsächlich in dem Bereich, in dem ich gerade bin. Meine Stelle bei DOMiD ist ein Glücksfall. Denn es ist die Synthese meiner wissenschaftlichen Expertise, meiner Erfahrung im musealen Bereich und meiner Freude an Geschichtsvermittlung, Kommunikation mit anderen Menschen und am Troubleshooting. Die Projektleitung für den Aufbau eines realen Museums, in dem sich unsere Gesellschaft als Migrationsgesellschaft entdecken und erleben kann, ist wahnsinnig spannend.

Sie haben an der Universität zu Köln Geschichte, Germanistik und Politik studiert. Hatten Sie zu Beginn des Studiums schon einen klaren Berufswunsch?

Als ich mein Studium anfing, war mir noch gar nicht so klar, wo die Reise hin gehen sollte. Ein geisteswissenschaftliches Studium legt einen beruflich nicht so direkt fest, wie das vielleicht bei einem Mediziner, Juristen oder Lehrer der Fall ist. Das habe ich als große Chance gesehen und denke auch immer noch, dass dies ein großer Vorteil ist. Um diese Wahlmöglichkeit zu haben, wählte ich auch bewusst nicht das Lehramt, sondern den Magister. Während des Studiums absolvierte ich unterschiedliche Praktika, im Unternehmensarchiv der Bayer AG, bei der NGO Germanwatch, bei den Blättern für Deutsche und internationale Politik.

Das war ein guter Weg, um einzugrenzen, wo es für mich tatsächlich hingehen könnte. Außerdem bin ich mit dem jugendlichen Optimismus ins Studium gegangen, dass wenn ich etwas mache, was mir liegt und Spaß macht, ich das gut mache. Und wenn ich etwas gut mache, dann werde ich da auch später einen Job finden. Und letztendlich hat sich das dann auch bewahrheitet.

Podiumsdiskussion auf der Jungen Islam Konferenz in Berlin 2014 (mit Esra Küҫük (links) und Barbara John (mitte)) Foto: Junge Islam Konferenz

Die Entscheidung wie es nach dem Studium weiter gehen soll, stellt für Studierende einen großen Schritt dar. Was hat Ihnen geholfen, sich nach dem Studium beruflich zu orientieren?

Die erste wichtige Weichenstellung ergab sich schon während meines Studiums. Zur Finanzierung arbeitete ich sehr lange als Stadtführer in Köln. Da ist mir bewusst geworden, wie wichtig es für mich ist, nicht nur zu forschen, sondern auch Geschichte zu vermitteln und nach außen zu tragen. Ich habe gesehen, wie viel Begeisterung man bei den Menschen für Geschichte und den Umgang damit wecken kann, wenn man das Ganze adäquat rüberbringt. Das war für mich die Initialzündung darüber nachzudenken, ob es wirklich die Wissenschaft ist, wo ich hin will oder etwas anderes. Ein zweiter ganz zentraler Punkt war ein Gespräch mit meiner Professorin direkt nach meiner Magister Arbeit. Ich wollte eigentlich doch direkt promovieren. Sie sagte dann, dass sie mir das fachlich durchaus zutraue, aber ich mir genau überlegen solle, wo ich hin möchte. Eine Promotion erfordert rund fünf Jahre Zeit und dann konkurriert man nachher auf dem Arbeitsmarkt mit Menschen, die vielleicht schon fünf Jahre praktische Erfahrung gesammelt haben. Aufgrund dieser Überlegung und meiner Erfahrung aus den Stadtführungen habe ich mich dann erst einmal dazu entschieden, nicht zu promovieren, sondern praktisch zu arbeiten.

Einige Studierende der Geisteswissenschaften machen sich Gedanken um ihre Arbeitsmarkteinstiegschancen. Wie waren Ihre Erfahrungen nach dem Studium?

Nach dem Studium war ich erst zunächst 6 Monate arbeitslos. Meine Sachbearbeiterin beim Amt wollte mich zum Laubfegen in den Grüngürtel schicken. Das war keine witzige Erfahrung. Ich schrieb viele Bewerbungen und dachte, ich sei top qualifiziert und der Arbeitsmarkt würde mich aufsaugen. Es stellte sich aber heraus, dass ich immer wegen mangelnder Erfahrung abgelehnt wurde. Es ist natürlich sehr frustrierend, wenn einem Berufseinsteiger gesagt wird, man hätte nicht die nötige Erfahrung. Die Praktika während der Studienzeit waren zwar erste Erfahrungen, aber es ist noch einmal etwas anderes, wenn man tatsächlich gearbeitet und damit auch seinen Lebensunterhalt verdient hat. Ich beschloss dann, doch noch einmal ein Praktikum vorzuschalten und ging für 3 Monate nach Bremerhaven in das Deutsche Auswandererhaus. Nach dem Praktikum bot man mir dann dort ein Volontariat an. Ein Volontariat ist im Museumsbereich der normale Weg zum Jobeinstieg und wurde auch meiner.

Und dort haben Sie dann doch Ihre Promotion begonnen. Wie kam es dazu?

Während des Volontariats habe ich gemerkt, wie viel Spaß mir die Arbeit im Bereich Museum macht. Und mir wurde klar, dass ich beruflich dort Fuß fassen wollte. Im Museumsbereich ist die Promotion meiner Meinung nach wichtig und hilfreich. Bis zu einer gewissen Stufe lassen sich auch ohne Doktortitel verantwortungsvolle Positionen erreichen. Aber wenn es dann weiter gehen soll, wird das ohne Promotion schwierig. Es ist zum Teil heute so, dass die Promotion sogar schon Voraussetzung für ein Volontariat ist. Dazu kam, dass mich das Thema – Heiratsverhalten von deutschen Migrantinnen und Migranten in den USA im 19. Jahrhundert – einfach auch gepackt hatte. Das motivierte mich zusätzlich.

vergrößern: Ausstellungspräsentation im Bundeskanzleramt mit Staatsministerin Aydan Özoğus
Ausstellungspräsentation im Bundeskanzleramt mit Staatsministerin Aydan Özoğus

Wie ging es nach dem Volontariat für Sie weiter?

Meine Promotion lief zuerst parallel zum Volontariat. Als das endete und wenig später mein Stipendium auslief, begann ich als wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Caritasverband Bremen zu arbeiten. Dort schrieb ich eine Studie über die Heimerziehung im Lande Bremen von 1945-75.  Nach der Promotion arbeitete ich am Haus der Wannsee Konferenz an einem Dokumentar-Theater-Projekt mit. Als Team von Historikern, einem Theaterregisseur und einer Dramaturgin arbeiteten wir das Protokoll der Wannsee Konferenz auf. Dieses Dokument ist ein Ergebnisprotokoll, das ganz stark von Eichmann redigiert wurde. Unsere Aufgabe bestand darin, es zu dekonstruieren. Das heißt, wir haben immer an den Punkten, an denen verklausuliert wurde, diese Verklausulierung aufgeschlüsselt.

Wenn zum Beispiel der Satz fiel „Der Rest wird nach Theresienstadt verbracht.“, beleuchteten wir den Satz mit einem Augenzeugenbericht, der veranschaulicht, was es bedeutete nach Theresienstadt „verbracht“ zu werden. Das Ganze haben wir dann auf die Bühne gebracht, also auch selber aufgeführt. Das hatte eine ganz starke Emotionalisierung und ich habe noch einmal gemerkt, welche Möglichkeiten in der Geschichte schlummern und was man mit lebendiger Vermittlung leisten kann. Anschließend habe ich dann als freiberuflicher Autor im Bereich History Marketing gearbeitet und eine Unternehmensbiografie geschrieben. Einen Tag nach der Disputation habe ich hier mit einer Projektstelle bei DOMiD angefangen.

Sie haben einen Teil Ihres Studiums in England verbracht. Wie wichtig war diese Erfahrung rückblickend für Sie?

Die Zeit in England war bis dato eines der besten Jahre meines Lebens und sowohl persönlich als auch fachlich eine tolle Erfahrung. Ich habe bis heute noch Kontakt zu vielen meiner damaligen Kommilitonen. Fachlich bin ich dort mit einem anderen Verständnis für Geschichte und Geschichtswissenschaft in Kontakt gekommen, was mich stark geprägt hat. In meinen Kursen dort spielten zum Beispiel ‚Local History‘, ‚Alltagsgeschichte‘ und eine ‚Button-Up-Perspektive‘ eine große Rolle. Das hat mich später dazu gebracht, mich mit Auswandererbriefen zu beschäftigen und die haben mich dann zu meinem Dissertationsthema geführt. Zusätzlich ist es in Großbritannien so, dass es bei aller Wissenschaftlichkeit auch stärker darum geht, Geschichten zu erzählen – also Themen für eine breites Publikum verständlich aufzubereiten und zu publizieren.

Welche Eigenschaften sollte man für die Tätigkeit in Museen und Kultureinrichtungen mitbringen?

Das hängt ganz von der Institution und der Tätigkeit ab. Sowohl Museen als auch Kultureinrichtungen allgemein können ganz unterschiedliche Voraussetzungen haben. Das betrifft beispielsweise die Vermittlungsziele, die Größe und die finanzielle Ausstattung dieser Häuser. Generell glaube ich, dass es eine Schlüsselqualifikation als Geisteswissenschaftler ist, sich schnell in Themengebiete unterschiedlichster Art einzuarbeiten. Das ist meiner Meinung nach ganz wichtig. Dazu kommt eine multiperspektivische Herangehensweise sowohl an Themen als auch an praktische Herausforderungen. Persönlich sollte man eine gewisse Neugierde und Offenheit für Themen und für Veränderungen mitbringen sowie Freude daran haben, mit Menschen zu kommunizieren. Entscheidend ist auch, dass man keine Angst vor der Übernahme von Verantwortung hat und die Fähigkeit mitbringt, selbständig Entscheidungen zu treffen.

Was würden Sie jungen Geisteswissenschaftlerinnen und Geisteswissenschaftlern bezüglich der Berufsperspektiven im heutigen Arbeitsmarkt raten?

Mit offenen Augen und Neugier durch die Welt gehen und keine Angst haben, wenn man am Anfang des Studiums noch nicht weiß, was für ein Beruf dabei rauskommen wird. Bildung sollte nicht der ökonomischen Verwertungslogik unterworfen und die Entwicklungspotentiale junger Menschen dadurch eingrenzt werden. Ich glaube, wer eine gute Ausbildung hat, fit in praktischen/praxisorientierten Bereichen ist und über die eben genannten Eigenschaften verfügt, hat immer Chancen. Allerdings halte ich mit Blick auf die Bachelor- und Master-Studiengänge einen Bachelorabschluss in einem geisteswissenschaftlichen Fach für wenig hilfreich. Da fehlt einfach etwas und eine Spezialisierung durch einen Master würde ich empfehlen.


 Interview: Yvonne Kahl