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Wer träumte als Kind nicht davon, auf dem Dachboden einen Schatz zu finden? Doch nur den wenigsten ist dies vergönnt. Umso mehr freute sich die Historikerin Dr. Julia Bruch, als sie einen Anruf zu einem solchen Fund erhielt. Als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für die Geschichte des Mittelalters/ Spätmittelalters forscht sie aktuell zu vormodernen Handwerkerchroniken. Gemeinsam mit dem Historischen Archiv des Erzbistums Köln bietet Sie eine Seminarreihe zur digitalen Edition Kölner Urkunden an, die Studierenden praxisorientierten Umgang mit Originalquellen ermöglicht und einen Einblick in das Berufsfeld 'Archiv' gibt.

Für unser neues Themenspecial hat sie uns die spannende Geschichte eines Dachbodenfundes erzählt, der ihrem Seminar ganz unverhoffe 'Geschichte zum Anfassen' ermöglichte.

 

Im Frühjahr 2017 erreichte mich ein Anruf einer älteren Frau, die etwas ominös von einer Urkunde sprach, welche sich in ihrem Besitz befände. Sie sei vom Römisch-Germanischen Museum Köln, in das sie die Urkunde gebracht habe, an mich verwiesen worden, da es sich wohl um etwas „Mittelalterliches“ handeln würde.

Ich war neugierig geworden und vereinbarte einen Termin.

Der Fund

Was ich am vereinbarten Tag sah, hätte ich nicht erwartet. Die Frau, die namentlich nicht genannt werden möchte, brachte in einer gelbgemusterten, blauen Wolldecke gewickelt eine ca. 60cm auf 50cm große Pergamenturkunde mit sieben erhaltenen Wachssiegeln aus dem Jahre 1402. Nach eigener Aussage befindet sich diese Urkunde seit den 1950er Jahren in ihrem Besitz. Sie hätte sie bei Bekannten in der „Spielkiste“ gefunden und den Wert dieses Stückes im Gegensatz zu den früheren Besitzer*innen erkannt. Ihr wurde die Urkunde daraufhin geschenkt. Seit dieser Zeit bewahrte die Frau das Fundstück in der besagten Decke in einer Schublade auf. Sie hatte bereits in den 1960ern versucht jemanden zu finden, der sich für die Urkunde interessieren würde, mit nur mäßigem Erfolg. Sie erhielt lediglich eine kurze und vage Inhaltsangabe von einem interessierten Laien.

 

Das Artefakt

Aber warum kam die Frau mit der Urkunde zu mir? Sie wollte gerne wissen, was genau in diesem über 600 Jahre altem Schriftstück steht. Darüber hinaus wollte sie gerne das Artefakt als eine Art Leihgabe (Depositum) in ein Museum oder Archiv geben, damit es ordentlich aufbewahrt, restauriert und erforscht werden könne.

Ich versprach ihr zu helfen, was sich als gar nicht so einfach herausstellte. Zuerst kümmerte ich mich um den weiteren Verbleib der Urkunde. Man muss die Archivlandschaft von NRW richtig gut durchschauen, um überhaupt zu ahnen, in welchen Archivbestand diese Urkunde gehören könnte. Für mich als Nicht-Archivarin bedeutete das, ich musste viele E-Mails schreiben und Telefonate führen. Doch nach drei Monaten war ich endlich an der richtigen Adresse und die Urkunde kann nun in das zuständige Archiv verbracht werden.

 

 

Die Arbeit mit dem Fundstück

Die zweite Aufgabe, eine Inhaltsangabe, gestaltete sich weniger schwierig, betrifft sie doch das Kerngeschäft einer Historikerin. Ich dachte mir, dass dieser „Dachbodenfund“, wie ein solcher Fund im Fachjargon heißt, meine Studierenden auch interessieren könnte und nahm Fotografien der Urkunde mit in meine Seminare. So erarbeitete ich, dem Forschenden Lernen verpflichtet, mit meinen Studierenden eine Transkription, ein Regest und eine Inhaltsangabe:

Wilhelm, [erwählter] Bischof von Paderborn, Dompropst, Domdekan und das Kapitel zu Paderborn versetzen an Ritter Hermann Speigel und Knappe Diedrich von Wintzingero(de) die Hälfte des Schlosses Liebenau und der Stadt für 1486 Rheinische Gulden. 24 Februar oder 21. September 1402.

Dieses Fundstück ist für die historische Forschung von besonderem Wert. Es handelt sich doch um ein weiteres Puzzleteilchen für die Untersuchung der Geschichte des Bistums Paderborn, des Schlosses Liebenau und der Geschichte der beteiligten Personen.

 

Das wissenschaftliche Arbeiten

Eine meiner Studentinnen plant nun sogar ihre schriftliche Abschlussarbeit zu dieser Urkunde und würde damit einen wichtigen Beitrag zur Forschung leisten. Die Urkunde und ihr Rechtsinhalt sind bis jetzt in der Forschung unbekannt.

Die Arbeit mit unedierten Urkunden in Seminaren ist mir nicht unbekannt. Vielmehr verfolge ich diesen Ansatz schon seit einigen Jahren.

Dr. Joachim Oepen, stellvertretender Leiter des Historischen Archiv des Erzbistums Köln, und ich, bieten, begleitet durch Dr. Ursula Gießmann vom Zentrum für Hochschuldidaktik der Universität zu Köln, eine Seminarreihe zur digitalen Edition Kölner Urkunden an.

Die Seminare „Mittelalterliche Urkunden aus Köln edieren“ bieten die Möglichkeit, einen Beitrag zur Kölner Stadtgeschichtsforschung zu leisten und mit Originalquellen im Archiv zu arbeiten. Ganz im Sinne des Forschenden Lernens werden die Kursteilnehmer_innen praxisorientiert zu einer eigenen Publikation begleitet.

 

„Mittelalterliche Urkunden aus Köln edieren“: Die praxisorientierte Arbeit im Seminar

In unserem Seminar beleuchten wir die Grundlagenarbeit eine*r*s Historiker*in*s und arbeiten selbstständig mit dem entsprechenden Material: An ausgewählten Urkunden wird der gesamte Arbeitsvorgang von der Archivalie zur fertigen Edition erprobt. Als Ergebnis des Kurses steht die Edition der bearbeiteten Urkunden auf monasterium.net und so die Veröffentlichung der im Seminar erarbeiteten Texte. Der Kurs findet teilweise direkt im Archiv statt, um die Arbeit an den Originalen zu ermöglichen. Der Kurs wird zudem über mehrere Semester in ähnlicher Form fortgesetzt, so dass die Möglichkeit besteht, sich über einen längeren Zeitraum auf die Arbeit im Archiv vorzubereiten.

Das Archiv ist eine beliebte und wichtige Berufsperspektive für Historiker*innen und damit für unsere Hochschulabsolvent*innen. Wir möchten ihnen daher die Möglichkeit geben, hier einen umfassenden Einblick zu bekommen.

 

 

Die Archivausbildung

Die Archivausbildung für den höheren Dienst setzt zunächst ein abgeschlossenes Hochschulstudium (Master oder gleichwertiger Abschluss), bevorzugt im Fach Geschichte voraus. Eine bereits vollendete Promotion ist zudem förderlich. Nach dem Studium folgt (außer in Bayern und Brandenburg) ein zweijähriges Archivreferendariat. Dieses erfolgt über einen Zeitraum von 12 Monaten in einem staatlichen Archiv des Bundes oder der Länder und 12 weitere Monate an der Archivschule in Marburg /typo3/(https://www.archivschule.de/DE/wir-ueber-uns/).

Erfahrungen in der Archivarbeit und bereits bestehende Kontakte zu Archiven sind für die Bewerbung, die direkt an staatlichen Archiven der Länder und des Bundes erfolgt, sehr wichtig.

Wer gerne im Archiv arbeiten möchte, braucht somit einen längeren Atem, die verschiendenen Stationen zu durchlaufen. Ist dieser aber erstmal bewiesen, erwarten einen ein spannendes Arbeitsfeld, das Einblicke in vielerlei Bereiche ermöglicht, die den allermeisten Menschen verborgen bleiben.

 

Text: Dr. Julia Bruch
Redaktion: Mirjam Utz, Eva Schwert
Fotos: Marlène Tencha

 

Wir danken Frau Dr. Julia Bruch an dieser Stelle ganz herzlich für die spannende Geschichte, die Einblicke in Ihre Seminararbeit und natürlich die gute Zusammenarbeit.