Examensfeier | Wintersemester 2024/2025
Fakultätspreise für Abschlussarbeiten
Bachelor-Arbeiten
Jannes Komenda
„Das Private ist politisch! Auch der Abwasch? Profeministische Männerbewegung und Hausarbeitsdebatte in den langen 1970er Jahren“
Betreuerin: Prof.'in Nicole Kramer
Die Arbeit leistet einen Beitrag zur Genealogie der Debatte um den Gender-Care-Gap. Sie geht aus von der Beobachtung, dass Hausarbeit innerhalb der progressiven Geschlechterdebatte der 1970er Jahre im Unterschied zu anderen vormals für privat erachteten Praktiken nicht politisiert worden ist. Dass dieses Versäumnis keinen Randbereich betrifft, sondern zentrale Anliegen des Feminismus unterminiert, zeigt die Arbeit anhand der Auswertung eines umfassenden und bislang unerschlossenen Quellenkorpus programmatischer Schriften der Zeit. Diese Auswertung dokumentiert einen nachhaltigen Unwillen der sogenannten feministischen Männerbewegung, selbst mit Hausarbeit und vergleichbaren Praktiken betraut zu werden – ein Ergebnis, dass die Selbstbezeichnung dieser Männerbewegung als ‚feministisch‘ deutlich relativiert, insofern das Quellenmaterial ein weiter deutlich konservatives Männerbild dokumentiert.
Neben diesem pointierten Ergebnis beleuchtet die Bachelorarbeit damit den Aspekt der Care-Arbeit als einen blinden Fleck der feministischen Debatte mit durchaus auch aktueller Relevanz – und das Gutachten hebt insbesondere die Sichtung und Auswertung des Quellenmaterials als innovative Forschungsleistung hervor.
Tabea Odak
„Das befreiungsfeministische Potenzial der mathetria Tabitha im Horizont einer intersektionalen Bibelhermeneutik“
Betreuer: Dr. Olaf Rölver
Die Bachelorarbeit versucht, der bisherigen Marginalisierung oder ‚Stillstellung‘ von Frauenfiguren und Frauenbiographien in Bibeltexten wie Kirchengeschichte die Rekonstruktion der Lebenswirklichkeit einer Jüngerin, von der die Apostelgeschichte erzählt, entgegenzusetzen. Sie versteht sich damit im Anschluss an die Kritik am theologischen ‚Malestream‘ und ‚Kyriarchat‘ als Beitrag zu einer feministischen Bibelwissenschaft, die aber zugleich um eine intersektionale Perspektive ergänzt wird: Tabea Odak setzt die Textstellen zu Jüngerin Tabita in Bezug zu den sozialhistorischen Kontexten der Zeit und zeigt, wie sich aus der männlichen Perspektive der Apostelgeschichte ihre Diskriminierungen hinsichtlich Herkunft, Sexualität und sozialer Position ergeben. Dem setzt sie eine Lesart der Apostelgeschichte entgegen, die diesen als ‚vielstimmigen‘ Text liest, aus dem sich Anhaltspunkte für eine andere Identitätskonstruktion der Jüngerin entnehmen lassen.
Die Gutachten heben hervor, dass Tabea Odak auf diese Weise nicht nur aktuelle kulturwissenschaftliche Theorien in die theologische Forschung einbringt, sondern auch methodisch neue Wege der Textexegese geht. Aus diesem Grund wird Tabea Odak auch die Möglichkeit haben, ihre Ergebnisse im Rahmen des von ihrem Betreuer Dr. Olaf Rölver mitinitiierten Forschungsprojekts „Intersektionalität in biblischen Texten“ zu veröffentlichen – ein für eine Bachelorarbeit äußerst seltener Erfolg.
Master-Arbeiten
Annika Duin
“Solidarität in Briefen. Reaktionen auf die ‚antisemitische Schmierwelle“ von 1959/60”
Betreuer: Prof. Habbo Knoch
Die Arbeit wertet die ca. 700 Briefe aus, die der Kölner Synagogengemeinde nach den Hakenkreuz-Schmierereien Anfang 1960 zugingen. Diese Briefe stellen eine neue Quelle zum Umgang mit der ersten größeren Antisemitismuswelle in der BRD dar, und die Arbeit untersucht sie hinsichtlich der Frage nach der Ausbildung eines neuen Solidaritäts- und Philosemitismus-Diskurses in der jungen Bundesrepublik. In methodischer Anlehnung an die Emotionsforschung gelingt es ihr dabei, die These eines „Auftstands der Anständigen“ zu differenzieren, indem die Briefe zwar einerseits eine sozial breit gestreuten „Schreibgemeinschaft“ abbilden, andererseits aber sehr unterschiedliche Schattierungen projüdischer Haltungen aufweisen — darunter Versuche, eigene Schuld aus der Zeit des Nationalsozialismus durch Solidaritätserklärungen abzugelten oder den neuerlich aufbrandenden Antisemitismus in der Bundesrepublik durch Verweis auf solche Solidaritätsadressen zu verharmlosen.
Auf diese Weise zeigt die Analyse auf, auf welche Weise „Solidarität“ als ein diskursives und performatives Konstrukt zu verstehen ist, das innerhalb konkreter erinnerungskultureller Zusammenhänge entsteht. Neben diesem theoretischen Ertrag hebt das Gutachten vor allem die Erschließungsleistung der Arbeit hervor, die der Gedächtnisforschung mit den 700 Briefen neues Quellenmaterial bereitstellt, deren Bedeutung weit über die Stadtgeschichte hinausreicht.
Freya Purzer
“Resisting the Resistance: Unpacking Emotions and Affective Dynamics in Decolonisation Processes at the Rautenstrauch-Joest Museum”
Betreuer: Prof. Martin Zillinger
Auch diese Arbeit hat einen stadtgeschichtlichen Bezug, insofern sie die Debatte über Rückgabe von Objekten und Artefakten aus der deutschen Kolonialzeit anhand des Bestands im ethnologischen Rautenstrauch-Joest-Museum adressiert. Der methodische Ansatz der Untersuchung besteht dabei darin, dieses Museum selbst zum Gegenstand einer ethnographischen Feldforschung zu machen: Im Anschluss an Sara Ahmeds Konzept der „sticky objects“ zielt die Verfasserin gegen die Vorstellung, Fragen und Prozesse der Dekolonisierung könnten durch einen übergeordneten rationalen Diskurs im Sinne Jürgen Habermas‘ geklärt werden. Stattdessen legt sie offen, inwiefern es auf beiden Seiten der Debatte – also bei „Reformern“, die die Rückgabe gestohlener Objekte fordern, wie bei „Conservern“, die den Bestand erhalten wollen – um emotional hochaufgeladene Identitätskonstruktionen geht.
Auf diese Weise zeigt sich, dass die vermeintlich eindeutig zu unterscheidende Ideologie beider Gruppen letztlich auf vergleichbaren Interessen beruht. Freya Purzer hat hierzu über zwei Jahre am Rautenstrauch-Joest Museum geforscht und Gespräche mit Vertreter*innen des Museums einerseits, der Kölner Ortsgruppe der AfD andererseits geführt. Deren Widerstand gegen die Dekolonisierungsforderung wirft Licht auf den Komplex einer „white fragility“, die im Zuge der Recherchen und Interviews auch zu Anfeindungen gegen die Verfasserin geführt haben. Nicht zuletzt deshalb hebt das Gutachten die Relevanz der Masterarbeit für die Auseinandersetzung mit der aktuellen Lagerbildung im politischen Diskurs hervor.
Simon Wagner
„Das Buch als Gebrauchsgegenstand. Alternative Nutzungsweisen in affordanztheoretischer Perspektive"
Betreuerin: Prof.'in Manuela Günter
Die Arbeit erschließt der literaturwissenschaftlichen Forschung neue Methodenansätze und Gegenstandsbereiche: Obwohl sich die Germanistik fast immer mit Texten in Büchern beschäftigt, ist das Medienformat des Buchs in seiner Materialität und praktischen Gebrauchsform selten in den Blick geraten. Im Zuge jüngerer praxeologischer Ansätze in den Kulturwissenschaften ändert sich das nun: Simon Wagner rekonstruiert Nutzungsweisen von Buchobjekten jenseits ihrer Funktionen als Textträger und Lesematerialen. Einen zentralen theoretischen Zugang dafür bietet die aus der Wahrnehmungspsychologie stammende Theorie der Affordanz von James J. Gibson, die davon ausgeht, dass Objekte bestimmte Umgangsweisen mit ihnen begünstigen, die aber im Fall von Artefakten auch völlig unabhängig von der produktionsseitigen Intention sein können.
Als Gegenstand seiner Analyse wählt Simon Wagner ein nationalistisches Kochbuch von 1897, das er auf einem Flohmarkt gefunden hat und das zahlreiche materielle Spuren seiner praktischen Nutzung aufweist: eingelegte Zettel, schriftliche Notizen usw. Zugleich zeigt die präzise dichte Beschreibung dieser materiellen Erscheinungsform, auf welche Weise das Kochbuch der Präsentation ‚deutscher Küche‘ im Rahmen nationalistischer Diskurse am Ende des 19. Jahrhunderts dient. Auf dieser Grundlage weist die Masterarbeit überaus anschaulich nach, dass das Kochbuch einerseits als ideologische Praxis intendiert ist, insofern es Praktiken befördert, die zu einer „Vereinigung der Esskultur“ führen sollen, andererseits aber Spuren divergierender Nutzungspraktiken aufweist, die dieser Programmierung entgegenlaufen. Dabei gelingt es Simon Wagner durchweg, komplexe Theorie und historische Konstellationen zugängliche und unterhaltsame Weise zu präsentieren.