Ida Guiseppina Colangelo
"Albrecht Dürers Selbstbildnis als Akt – ein programmatisches Künstlerbildnis"
B.A. Kunstgeschichte/Deutsche Sprache und Literatur, Betreuerin: Dr. Jeanet Hommers
Frau Colangelo untersucht in ihrer ambitionierten Bachelorarbeit eines der ungewöhnlichsten, dennoch aber bislang vergleichsweise wenig behandelten Selbstbildnisse der Vormoderne, in dem uns Dürer in seiner unverhüllten Nacktheit entgegentritt. Die Innovation der Bachelorarbeit von Frau Colangelo liegt dabei wesentlich in der Verknüpfung von drei von der Forschung bislang separat verfolgten Deutungsansätzen, die das Bild entweder als Aktdarstellung, als Selbstbildnis oder als intendiert unvollendete Zeichung („non-finito“) perspektiviert haben.
Frau Colangelo legt in ihrer stringent aufgebauten und konzis argumentierenden Bachelorarbeit eine rundum überzeugende Neuinterpretation von Dürers berühmten Selbstbildnis vor, wobei sie dieses zugleich in die zeitgenössischen Debatten um den Status der Kunst einbettet: Programmatisch offenbare sich in der Zeichnung Dürers komplexes Selbstverständnis als Künstler. Dabei beeindruckt Frau Colangelos sorgfältig reflektiertes methodisches Vorgehen ebenso wie ihre kritisch-souveräne Diskussion und thetische Verdichtung von Forschungspositionen in der gleichermaßen umfangreichen wie komplexen Sekundärliteratur zu dem Künstler. All dies geschieht in einem sprachlich klaren Diskurs, der die Bachelorarbeit nicht zuletzt auch in stilistischer Hinsicht zu einer Lesefreude macht.
Mathias Stöber
"Testing the effectiveness of mouse tracking in speech perception"
B.A. Linguistik und Phonetik, Betreuerin Prof. Dr. Martine Grice
Mathias Stöber setzt sich in seiner Bachelorarbeit mit dem sogenannten Mouse Tracking auseinander, einer neuen Methode in der empirischen Sprachverarbeitungsforschung. Gegenüber der bereits älteren und etablierten Methode des Eye Tracking zeichnet sich Mouse Tracking durch eine höhere Kosteneffizienz und kontinuierlichere Produktion von Datensätzen aus. Allerdings ist die Methode des Mouse Tracking noch nicht voll ausgereift und daher auch umstritten.
Mathias Stöber gelingt in seiner beeindruckenden Arbeit ein Beitrag zur Evaluation des Mouse Tracking, indem er nicht nur auf einem hohen wissenschaftlichen Niveau bisherige Studien kritisch diskutiert und miteinander vergleicht, sondern ausgehend von seinen Ergebnissen auch eigene Experimente durchführt. Diese sorgfältig und professionell durchgeführten Experimente präsentiert er mit ausgezeichneten Visualisierungen und reflektiert ihre Implikationen sowie Beschränkungen vor dem Hintergrund bislang existierender Forschungen. Dadurch stellt diese Arbeit, die auch durch einen klaren Aufbau, eine stringente Argumentationen und gute Lesbarkeit überzeugt, einen eigenen Beitrag zur methodologischen Grundlagenforschung dar.
Anna Pia Jordan-Bertinelli
"Formen und Mittel der Perspektivierung in literarischen Erzähltexten"
M.A. Deutsche Sprache und Literatur, Betreuer: PD Dr. Stefan Hinterwimmer
Frau Jordan-Bertinelli widmet sich in ihrer Abschlussarbeit einem hochaktuellen, in dieser Form noch nicht bearbeiteten Thema im interdisziplinären Schnittpunkt zwischen Linguistik, Sprachphilosophie und literaturwissenschaftlicher Narratologie: ob es sich bei den drei in der Forschungsliteratur mit den Begriffen „Free Indirect Discourse“ bzw. „Erlebte Rede“, „Viewpoint Shifting“ bzw. „Blickpunktverschiebung“ sowie „Protagonist Projection“ bzw. „Protagonistenprojektion“ um Ausprägungen desselben zugrunde liegenden Phänomens oder aber um kategorial verschiedene Phänomene handelt.
Die Arbeit ist äußerst stringent geschrieben und durchdacht aufgebaut, die Argumentation immer präzise, überzeugend und differenziert. Die verschiedenen, für die Debatte relevanten linguistischen und narratologischen Ansätze werden zunächst auf einem hohen wissenschaftlichen Niveau kritisch diskutiert. Anschließend entwickelt Frau Jordan-Bertinelli unter beständigem Rückgriff auf illustrative Beispiele einen eigenen Analyseansatz, der die Blickpunktverschiebung und die Protagonistenprojektion als ‚alterierte Perspektivwechsel‘ zusammenzufasst, um anschließend Gemeinsamkeiten wie auch Differenzen zur Erlebten Rede herauszustellen. Die Arbeit leistet so einen innovativen wie überzeugenden Beitrag zu einer schon wegen des interdisziplinären Zuschnitts komplexen Forschungsproblematik und zu der internationalen Diskussion auf diesem Feld.
Jonas Wernz
„An der Schwelle einer neuen Zeit“: Nachkriegserschließende Temporalitätsdiskurse und die Neuordnung der „Zukunft“ in politischen Denkschriften der Wiener Kongresszeit 1814–15 aus ehemaligen Rheinbundstaaten
M.Ed. Geschichte und Deutsch, Betreuerin: Prof. Dr. Ute Planert
Herr Wernz befragt in seiner Masterarbeit mehrere Dutzend Denkschriften und Memoranden aus den Jahren 1814 und 1815 danach, wie in diesen im Umfeld des Wiener Kongresses die historische Übergangsphase zwischen dem Alten und dem Neuen in sinnbildende Epochennarrative und Zukunftsentwürfe übersetzt worden ist.
Eingebettet in einen umfassend reflektierten theoretischen Kontext kann Jonas Wernz zeigen, dass die napoleonische Vergangenheit als eine singuläre Epoche voller Kontingenz außerhalb jeglichen historischen Referenzrahmens bewertet wurde. Die Nachkriegszeit hingegen wurde als gestaltbare Zukunft, und zwar als ereignislose, ad aeternum verstandene Zeit des Friedens, der Berechenbarkeit und der festen Strukturen entworfen.
Jonas Wernz gelingt es in seiner gut strukturierten und sprachlich untadeligen Masterarbeit, die sorgfältige Erschließung einer bislang wenig genutzten Quellengruppe mit anspruchsvollen theoretischen Überlegungen zu Temporalitätsdiskursen engzuführen. Die auf einer beeindruckend breiten Theorie-, Quellen- und Literaturkenntnis beruhende Arbeit ist nicht nur ein innovativer Beitrag zur Geschichte des Wiener Kongresses, der in den letzten Jahren verstärkt in den Fokus der Forschung gekommen ist, sowie der von ihm gestifteten Ordnung, sondern ebenso zur aktuell stark diskutierten „Neuen Diplomatiegeschichte“.
Alina Wieneke
"Entre mémoire et oubli: Rue des boutiques obscures (1978), Du plus loin de lʼoubli (1996) et Souvenirs dormants (2017) de Patrick Modiano"
M.A. Romanistik, Betreuer: Prof. Dr. Wolfram Nietsch
Alina Wieneke untersucht in ihrer Masterarbeit die erzählte Erinnerung in den Werken des französischen Schriftstellers Patrick Modiano, der im Jahre 2014 mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet wurde. Sie geht der Frage nach, inwieweit Konzepte der „Erinnerung“ und des Nachdenkens über die „vergangene Zeit“, die sich wie ein roter Faden durch Marcel Prousts Hauptwerk A la recherche du temps perdu ziehen, auch das Schreiben Modianos geprägt haben.
Anhand dreier Beispiele aus verschiedenen Phasen von Modianos Œuvres zeigt Frau Wieneke auf einem sehr hohen Reflexionsniveau, dass für Modiano dem Vergessen eine größere Rolle als dem Erinnern zukommt. So gelinge es dem unter Amnesie leidenden Erzähler seinem Werk Rue des Boutiques Obscures (1978) trotz detektivischer Selbsterkundung nicht, seine frühere Identität zweifelsfrei zu rekonstruieren und etwas über die zwölf Jahre vor seinem Gedächtnisverlust mitzuteilen. In Du plus loin de l‘oubli (1996) teile der Erzähler zwar Rückblicke in die Vergangenheit durch Hinweise auf eine flüchtige Liebesbeziehung mit einer gewissen Jacqueline mit, aber auch diese Erinnerung ruft lediglich Momente einer gemeinsam erfahrenen Leere hervor und der Rest seiner Vergangenheit verschwimmt zu einem monotonen „temps mort“. Alina Wieneke zeigt, dass Prousts Konzept der mémoire involontaire zur Signatur von Modianos ganzem Roman wird und auch in Modianos neuestem Werk Souvenirs dormants (2017) Rückblicke des Erzählers zwar verschiedene Lebensabschnitte betreffen, ihm jedoch wie unter einer Eisschicht, einer „couche de glace et dʼoubli“ (S. 48) entzogen bleiben. Entsprechend werden Prousts Vergleiche der Erinnerung mit einem Bibliotheksmagazin oder einem artesischen Brunnen nur aufgegriffen, um die Perspektive einer Wiedergewinnung des Verlegten oder Verschütteten zu streichen. Die durchweg stringent aufgebaute und in druckreifem Französisch formulierte Arbeit positioniert Modianos Romane sehr kenntnis- und nuancenreich in der Geschichte des modernen Erinnerungsromans.