Foto: Patric Fouad
Examensfeier | Sommersemester 2024
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Fakultätspreise für Abschlussarbeiten
Bachelorarbeiten
Melih Çelik:
„Bewegungsverben im Lazischen“
betreut von Dr. Claudia Wegener (Linguistisches Institut)
Die Arbeit von Herrn Çelik ist einer nicht nur sprachwissenschaftlich, sondern auch kulturhistorisch bedeutenden Thematik gewidmet: der Erforschung der strukturellen Besonderheiten einer vom Aussterben bedrohten Sprache. Dabei handelt es sich um das Lazische, einer rein mündlich praktizierten südkaukasischen Sprache im Nordosten der Türkei. Interesse und Kompetenz des Verfassers sind dabei geprägt von seinem familiären Hintergrund, in dem das Lazische noch präsent ist, so daß das Datenmaterial für die Arbeit insofern im Rahmen einer Feldforschung mit eigenen Familienmitgliedern erhoben werden konnte.
Gegenstand der insofern auf mehreren Ebenen besonders engagierten Ausarbeitung sind die Bewegungsverben im Lazischen, die Herr Çelik einer Analyse hinsichtlich deren Angewiesenheit auf Präfixe untersucht. Diese Analyse resultiert nicht nur in einer eindeutigen Zuordnung des Lazischen zu einer satellite framed-Sprache, sondern arbeitet auch seine besonders feinen Differenzierungsmöglichkeiten von Bewegungsabfolgen heraus.
Die Bachelor-Arbeit beeindruckt nicht nur durch ihre hochgradige Eigenständigkeit und Relevanz aufgrund einer hochgradig spärlichen Forschungslage, sondern auch durch die klar strukturiert und auch für Nicht-Sprecher:innen bzw. Nicht-Sprachwissenschaftler:innen gut nachvollziehbar und anschaulich illustrierte Darstellung. Das Gutachten hebt hierbei insbesondere die gelungene Verknüpfung von Theorie und Empirie hervor, und aus all diesen Gründen zeichnet die Fakultät die Bachelor-Arbeit zu den Bewegungsverben im Lazischen mit einem Preis aus.
Rojan Köse:
„‚Engagierte Ethnologie‘ mit Extremisten? Eine Exploration und Diskussion der gegenwärtigen Debatte“
betreut von Prof. Susanne Brandstädter (Ethnologisches Institut)
Die Bachelorarbeit von Rojan Köse stellt die Frage, inwiefern ethnologische Forschung über spezifische politische Gruppierungen sich selbst politisch bzw. moralisch positionieren kann, darf oder sollte. Sie diskutiert hierzu ausführlich und in der Forschung überaus fundiert die unterschiedlichen Perspektiven einer „engaged anthropology“, wie sie z.B. in der Feldforschung zu extremistischen Milieus zum Einsatz kommt. In diesem auch für die aktuelle Situation in Deutschland hochrelevanten Ansatz geht es um die methodische Frage, inwiefern die Diskrepanz der politischen Positionen von Beobachtenden und Beobachteten – und also die moralische Voreingenommenheit ersterer – sich auf den wissenschaftlichen Stellenwert der Ergebnisse auswirkt.
Rojan Köse vergleicht vor diesem Hintergrund eine Studie von Benjamin Teitelmann zu nationalistischer Musik in Nordeuropa mit derjenigen von Mark Goodall zu Bolivien nach der Wahl von Evo Morales im Jahr 2005. Während Teitelmann die persönliche Nähe zu den Musikfans als Voraussetzung seiner Arbeit ansieht und moralische Unvoreingenommenheit für sich in Anspruch nimmt, reflektiert Goodall seine eigene Perspektive als unhintergehbar hegemonial gebiast.
Auf diese Weise kommt die Bachelor-Arbeit zu einer anschaulichen Differenzierung der unterschiedlichen Positionen, die sie vor dem Hintergrund der Forschungsdebatte über die Möglichkeiten und Probleme einer „dark anthropology“ entfaltet. Das Gutachten hebt als besonders beeindruckende Leistung hervor, daß Rojan Köse sich dabei eines eigenen Urteils enthält, und statt dessen die Notwendigkeit eines fortgesetzten Diskurses über die Erforschbarkeit politischer Bewegungen, die soziale Gerechtigkeit ablehnen, betont. Aufgrund dieses hochreflektierten Umgangs mit einem hochaktuellen epistemologischen Problem wurde die Arbeit für einen Preis der Fakultät ausgewählt.
Masterarbeiten
Saskia Celina Castañeda Falcón:
„Leben von und mit Wildpflanzen – Eine ethnographische Fallstudie zu Mensch-Umwelt-Beziehungen aus Steiermark, Österreich"
betreut von Prof Thomas Widlock, Afrikanistik
Die ethnographische Master-Arbeit bring auf eindrucksvolle Weise die eigene empirische Forschung zu Wildkräuternutzung in der Steiermark mit ethnologischen Debatten zu Verschwörungstheorien bzw. alternativen Wissensbeständen und verkörpertem Lernen zusammen. Die Arbeit beruht auf einer zweimonatigen Feldforschung mit einer Pflanzenexpertin in Österreich und geht der Frage nach, wie spezifisches Wissen über Pflanzen mit dem Lebensalltag der Wissenden verwoben ist. Das Hauptaugenmerk liegt dabei auf den Alltagspraktiken, durch welche Frau Castañeda Falcón am Pflanzenwissen Ihrer Gastgeberin teilhat: Beobachten und Sammeln, Gärtnern, Verarbeiten, Essen und Anwenden.
Die Arbeit überzeugt durch ihre empirische Dichte, die sehr gelungene Zusammenführung der Beobachtungen aus dem Feld mit oft komplexen Theorien sowie durch eine klare und Jargon-freie Sprache. Hervorzuheben ist, dass die Arbeit sowohl auf innovativen Lösungen für die Herausforderungen ethnographischer Feldforschung beruht als auch die theoretische Literatur in einer vorbildlichen Tiefe und Breite einbezieht. Feldforschungsbeobachtungen und theoriegeleitetes Literaturstudium greifen hier in einer überzeugenden Weise zusammen.
Lorenz König:
„The Road to Exclusion – Anti-Chinese Sentiment in California, 1864-1882"
betreut von Dr. Jakob Birken, Historisches Institut
Die Masterarbeit von Lorenz König untersucht die Verschränkung von sozialer Klasse und Vorstellungen von „Race“ in der Debatte um die Immigration chinesischer Arbeitskräfte in Kalifornien im 19. Jahrhundert, die schließlich im sogenannten „Chinese Exclusion Act“ von 1882 ihren Höhepunkt fand, und damit der ersten systematischen Beschränkung von Einwanderung in die Vereinigten Staaten.
Methodisch nimmt Lorenz König die Diskursanalyse einer kalifornischen Zeitung aus dem entsprechenden Zeitraum als Ausgangspunkt, um in einer nuancierten, quellennahen und theoretisch gut reflektierten Diskussion der Frage nach dem Verhältnis eines rassistischen „Othering“ und einer ethnischen Ausdifferenzierung des Arbeitsmarktes nachzugehen. Er greift dabei auf die von Edna Bonacich entwickelte „split labor market theory” zurück, die es ihm erlaubt, soziale Klasse und „Race“ als Faktoren im Entstehen eines ethnisch differenzierten Arbeitsmarktes gegeneinander abzuwägen.
Die Arbeit ist in englischer Sprache geschrieben und sprachlich von außerordentlicher Qualität. Sie liest sich gut, vermeidet unnötigen Jargon, und das Argument ist systematisch entwickelt. Insgesamt handelt es sich hier um eine methodisch solide historische Untersuchung, die einen eigenständigen Beitrag zur Forschung über Arbeit, Immigration und „Race“ am Beispiel anti-chinesischer Diskurse im Kalifornien des späten 19. Jahrhunderts leistet.
Hauke Lindstädt:
„Can you believe that? The prosody of non-genuine polar questions in English"
betreut von Prof. Martine Grice, Institut für Linguistik
Die sprachwissenschaftliche Master-Arbeit untersucht die prosodischen Eigenschaften nicht-genuiner Entscheidungsfragen in US-amerikanischem Englisch, also Fragen wie Can you believe that? – Can you repeat that? – Do you believe that? Die Arbeit beruht auf einem Korpus von 300 spontansprachlichen Fragen, die Herr Lindstädt aus dem US-amerikanischen TV News Archive zusammengestellt hat und mithilfe aktueller Methoden auf verschiedene prosodische Parameter hin untersucht, quantitativ auswertet, visualisiert und mit kritischem Blick interpretiert. Auf diese Weise kann er zeigen, dass die unterschiedlichen Fragetypen im US-amerikanischem Englisch zumindest in gewissem Ausmaß prosodisch ausgedrückt werden.
Die Arbeit überzeugt auf allen Ebenen. Die empirische Studie ist in sprachwissenschaftliche Diskurse eingebettet und verknüpft auf vorbildliche Weise die pragmatische Forschung zu Sprechakten mit der prosodischen Forschung zu Entscheidungsfragen. Herrn Lindstädt gelingt es durchweg, komplexe Inhalte verständlich zu formulieren, ohne dabei das Wesentliche aus den Augen zu verlieren. Die empirische Studie selbst besticht durch ein außergewöhnlich hohes Maß an Klarheit und Transparenz sowie Gründlichkeit und Sorgfalt, einschließlich eines Hinterfragens der eigenen Ergebnisse und der nötigen Vorsicht bei der Einordnung der Ergebnisse