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Nachruf Hansjakob Seiler

Die Philosophische Fakultät und das Institut für Linguistik trauern um Prof. em. Hansjakob Seiler, der am 13.08.2018, im Alter von 97 Jahren verstorben ist.

Nachruf Hansjakob Seiler (16.12.1920–13.08.2018)

 

Am 13. August 2018 verstarb der in Lenzburg wohnhafte Sprachwissenschaftler Hansjakob Seiler im hohen Alter von 97 Jahren. Seiler war Ordinarius für Allgemeine und Vergleichende Sprachwissenschaft an der Universität zu Köln von 1959 bis zu seiner Emeritierung 1986. Nach dem Studium der Klassischen Philologie und der Promotion an der Universität Zürich (1939–1947) verbrachte er längere Studienaufenthalte in Paris und in den USA, wo er sich bei zwei der bedeutendsten Linguisten des 20. Jahrhunderts, Émile Benveniste und Roman Jakobson, mit den Grundlagen der strukturalistischen Sprachwissenschaft vertraut machte. Als einer der ersten Europäer überhaupt lernte er in den fünfziger Jahren bei Mary Haas in Kalifornien die moderne linguistische Feldforschung kennen. Später war er auch mehrfach Gast in Stanford beim Pionier der zeitgenössischen sprachwissenschaftlichen Universalienforschung, Joseph Greenberg.

Seiler war einer der ersten Linguisten im deutschsprachigen Raum, der die deskriptiv-strukturalistischen Methoden in der Sprachwissenschaft konsequent anwandte. Dabei war die Erforschung der vom Aussterben bedrohten Indianersprache Cahuilla in mehrfacher Hinsicht eine prägende Erfahrung. In mehreren Forschungsaufenthalten zwischen 1955 und 1973 untersuchte er diese Sprache in Südkalifornien und erarbeitete die im amerikanischen Strukturalismus zum Standard gewordene deskriptive Trilogie von Grammatik, Wörterbuch und Textsammlung mit Mythen, Gesängen und Märchen. Sprachbeschreibung und Sprachdokumentation stehen damit am Anfang von Seilers Entwicklung zum strukturalistischen Sprachwissenschaftler und damit auch am Anfang des bis heute das Kölner Institut für Linguistik prägenden Schwerpunkts in der Sprachbeschreibung und -dokumentation.

Da sich Seiler durch seine Studien in Paris und den USA sehr schnell sehr weit von seinen Wurzeln in der klassischen Philologie und Indogermanistik entfernte, beantragte er Mitte der sechziger Jahre die Einrichtung einer zweiten Professur im Institut für Sprachwissenschaft, die sich ganz der Indogermanistik widmen sollte. Erster Lehrstuhlinhaber war Professor Jürgen Untermann.

Durch die jahrelange intensive Beschäftigung mit dem Cahuilla gewann Hansjakob Seiler eine Vorstellung davon, wie unterschiedlich Sprachen strukturiert sein können. Die Erfahrungen mit den Sprachen der Welt und die langjährige Beschäftigung mit sprachtheoretischen Fragen bildeten die Grundlage für die Sprachuniversalienforschung, die ihn am meisten interessierte und beschäftigte. Sie gipfelte in dem interdisziplinären Forschungsprojekt «Sprachliche Universalienforschung und Typologie unter besonderer Berücksichtigung funktionaler Aspekte (UNITYP)», das 20 Jahre (1972–1992) und damit auch weit über seine Emeritierung hinaus bestand und Seilers wichtigsten Beitrag zur Sprachwissenschaft darstellt. Dabei handelte es sich um das erste je von der DFG geförderte geisteswissenschaftliche Verbundprojekt, womit Seiler auch den Grundstein für eine nachhaltige Tradition sprachwissenschaftlicher Verbundforschung in Köln legte, die bis heute andauert.

Ausgangspunkt für Seilers Universalienforschung ist die Annahme, dass der Mensch überall vergleichbare Erfahrungen mit seiner Umwelt und seiner Existenz macht und diese Erfahrungen mit den gleichen grundlegenden Konzepten verarbeitet. Entsprechend sind diese Konzepte, dazu gehören nach Seiler z.B. Besitz oder Gegenstand, in allen Sprachen vorhanden und somit «universal». Wie diese Konzepte aber sprachlich ausgedrückt und differenziert werden, unterscheidet sich von Sprache zu Sprache. Durch den Vergleich verschiedener Sprachen kann die Sprachwissenschaft die Techniken, mit denen ein Konzept sprachlich realisiert wird, zusammenstellen und in Kontinua zunehmender Explizitheit der sprachlichen Markierung anordnen.

Zu den zahlreichen Ehrungen und Anerkennungen, die Seiler erhielt, gehören die Verleihung der Ehrendoktorwürde (Dr. h.c.) der Universitäten Löwen und Paris VII sowie die Mitgliedschaften in der Akademie von Nordrhein-Westfalen, in der Academia Europaea in London und als Correspondent étranger der Académie des Inscriptions et Belles-Lettres am Institut de France in Paris. Zudem war er Ehrenmitglied der Schweizerischen Sprachwissenschaftlichen Gesellschaft.

Nach seiner Emeritierung 1986 kehrte der am 16. Dezember 1920 in München geborene Sohn eines Schweizer Zoologen und einer Konzertsängerin zurück in die Schweiz nach Lenzburg. Im Geburtsort seiner Gattin, der Malerin Elisabeth Mey Seiler, arbeitete er bis zuletzt an Fragen zur Universalität in der Sprache. 2000 erschien die Synthese seiner Universalienforschung Language Universals Research. A Synthesis (Narr, Tübingen). Seine letzte Studie Das Konzept der Objektrelation und das Kontinuum ihrer Varianten. Ein muttersprachlicher Zugang (zusammen mit Yoshiko Ono und Ioanna Berthoud-Papandropoulou) erschien 2015 in seinem 95. Lebensjahr.

Unterstützung für seine Forschungen nach der Emeritierung erhielt Seiler auch vom Kanton Aargau. Seine Privatbibliothek mit rund 5.000 Publikationen schenkte Seiler 2001 der Aargauer Kantonsbibliothek. Hansjakob Seiler selbst blieb immer ein bescheidener Mensch mit starker Liebe zur Natur und zu den Künsten, im Speziellen zur Malerei und zur Musik.

 

Hansjakob Seiler verdankt die Kölner Sprachwissenschaft ihren guten Ruf und ihr weltweites Ansehen. Wir werden ihm stets ein ehrendes Andenken bewahren.

 

Nikolaus P. Himmelmann

Köln, 8. Oktober 2018, auf der Basis eines Entwurfs von Florian Meyer, Neffe des Verstorbenen.

 

 

 

Webseiten zu Hansjakob Seiler:

Sammlung Seiler in der Kantonsbibliothek Aargau:
https://www.ag.ch/

Hansjakob Seiler am Institut für Sprachwissenschaft der Universität zu Köln:
http://ifl.phil-fak.uni-koeln.de/31640.html#c133880

Eintrag «Hansjakob Seiler» auf Wikipedia:

https://de.wikipedia.org/wiki/Hansjakob_Seiler

Eintrag «UNITYP – Kölner Universalienprojekt» auf Glottopedia: http://www.glottopedia.org/index.php/UNITYP_-_Kölner_Universalienprojekt